Warum Gesine Schwan ihre Hoffnung auf die Kommunen setzt
imago images/Christian Spicker
Wir leben im Zeitalter des globalen Kapitalismus. Dieser geht mit scheinbaren Sachzwängen einher, die den Handlungsspielraum demokratisch gewählter Politiker*innen beschränken. Steuererhöhungen beschließen oder Klimaschutzregeln aufstellen? Das funktioniere auf nationaler Ebene nicht, heißt es oft, weil die Unternehmen dann einfach ins Ausland abwandern. Eine humanere Politik für Geflüchtete? Die müsste international abgestimmt werden, aber solange manche Regierungen nicht mitziehen, passiert kaum etwas.
Global statt nationalstaatlich
Cover „Politik trotz Globalisierung”
Die Welt scheint in ein Ungleichgewicht geraten zu sein. Politik, Zivilgesellschaft und Unternehmen begegnen einander nicht mehr auf Augenhöhe. Das beeinträchtigt die gesellschaftlichen Aushandlungsprozesse, die Gesine Schwan „antagonistische Kooperation“ nennt. Sie schreibt: „Offene Grenzen verlangen deshalb, wenn sie nicht zum entwürdigenden Sieg einer entfesselten privatkapitalistischen Dynamik führen sollen, die nationalstaatliche Bändigung und Gestaltung der Wirtschaft zu einer transnationalen weiterzuentwickeln: zu einer globalen Governance“.
Gesine Schwan ist Politikwissenschaftlerin und Vorsitzende der SPD-Grundwertekommission. Einer breiten Öffentlichkeit ist sie bekannt, seit sie 2004 und 2009 für das Amt der Bundespräsidentin kandidierte. Bereits in der Vergangenheit hat sie wiederholt vorgeschlagen, internationale Kooperation stärker über die Kommunen zu denken. Etwa, als sie einen kommunalen Integrations- und Entwicklungsfonds anregte – einen EU-Fonds, aus dem Geld an Städte und Gemeinden fließen soll, die freiwillig Geflüchtete aufnehmen. Mit dem Buch „Politik trotz Globalisierung“ entwirft Schwan für diese Überlegungen einen theoretischen Unterbau.
Was heißt Politik überhaupt?
Das Ergebnis liest sich streckenweise wie das Manuskript zu einem politikwissenschaftlichen Grundlagenseminar. Das erste Drittel ihres Buches ist ganz der Frage „Was heißt Politik“ gewidmet. Schwan beginnt beim Politikverständnis des antiken Athens und fasst Gedankengänge von Machiavelli über Karl Marx bis zu Hannah Arendt zusammen. Eine wesentliche Erkenntnis lautet, dass Politik auf dem Ausgleich von Machtpotenzialen beruhe, es dürfe also nicht einfach eine Macht das Sagen haben. Dem stellt Schwan Modelle wie eine effiziente Machtkonzentration (China), Technokraten-Regierungen oder das Mantra „Markt statt Politik“ entgegen, die sie allesamt ablehnt.
Im zweiten Buchdrittel analysiert Schwan „die aktuelle Krise der liberalen Demokratie und des Liberalismus“ und die Folgen der ökonomischen Globalisierung. Dies führt zum letzten und spannendsten Abschnitt des Buches. Darin stellt Schwan ihre Überlegungen vor, wie demokratisch-repräsentative Politik weiterentwickelt werden kann.
Kooperationen und Freiwilligkeit
Dabei fokussiert sich Schwan nicht auf die Nationalstaaten als zentrale Handlungsebenen, auch nicht auf EU oder UN, sondern auf die Kommunen. „Hier liegen die Herausforderungen viel konkreter auf der Hand“, schreibt sie. Wenn verschiedene Interessengruppen kooperieren und versuchen eine Win-Win-Lösung auszuhandeln, könnten sie Fortschritt oder Stillstand genauer und schneller erkennen.
Die lokale Herangehensweise habe also Vorteile, zugleich könnten Städte und Gemeinden auch global gestalten. Die Autorin ist überzeugt, man finde „in den oft ähnlichen Herausforderungen der unterschiedlichen Städte überall auf der Welt trotz vieler kultureller und historischer Unterschiede leichter eine gemeinsame Basis der Verständigung.“ Seit 1989 hätten sich Städtekooperationen vervielfacht. Solche internationalen Bündnisse von Kommunen, die beim Klimaschutz, der Migrationspolitik oder Digitalisierung gemeinsam vorangehen, will Schwan gezielt stärken. Dabei setzt sie auf das Prinzip Freiwilligkeit, ergänzt um gezielte Förderung wie den erwähnten EU-Integrationsfonds.
Schwan plädiert dafür, die Teilhabe auf kommunaler Ebene weiterzuentwickeln, ohne von der Grundidee der repräsentativen Politik abzurücken. „In einem Entwicklungsbeirat können sich Vertreter der Kommunalverwaltung, von Unternehmen und der organisierten Zivilgesellschaft – von Gewerkschaften über die Caritas bis zu örtlichen Bürgerinitiativen – gegenseitig auf pfiffige Gedanken bringen“, regt sie zum Beispiel an.
Das Buch macht Mut
„Die Angst vor der Globalisierung geht deutlich zurück, wenn die ‚Fremden‘ ein persönliches Gesicht bekommen“, heißt es im letzten Kapitel. Eine Globalisierung „zum Anfassen“ sei kein Schreckgespenst mehr und man könne sie trotz aller Komplexität auch besser verstehen.
Das Buch „Politik trotz Globalisierung“ bleibt am Schluss vage. Gesine Schwan liefert kein fertiges politisches Programm, das einfach nur noch umgesetzt werden müsste. Aber sie spendet Zuversicht und zeigt eine Richtung auf, in die demokratische, an der Menschenwürde orientierte Politik sich entwickeln kann.
Gesine Schwan:
Politik trotz Globalisierung.
wbg Theiss-Verlag 2021, 224 Seiten, 25,00 Euro,
ISBN 978-3-8062-4308-6
Erschienen am 8. Februar auf demo-online.de
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arbeitet als Redakteur für die DEMO – die sozialdemokratische Fachzeitschrift für Kommunalpolitik.