Kultur

Warum eine Gesellschaft Solidarität braucht – und wie die SPD sie schaffen kann

Die Bereitschaft der Bessergestellten sinkt, die weniger Glücklichen und Erfolgreichen solidarisch zu unterstützen. Ohne Solidarität kann eine Gesellschaft jedoch nicht bestehen. Die SPD muss deshalb für eine neue Form der Gemeinschaft sorgen.
von Carsten Brosda · 6. Januar 2020
Solidarität schaffen: Es kommt darauf an, dass die Vielen und die Verschiedenen, die in unserer Gesellschaft leben und die ihren Charakter prägen, sich auch als eine Gemeinschaft verstehen, meint Carsten Brosda.
Solidarität schaffen: Es kommt darauf an, dass die Vielen und die Verschiedenen, die in unserer Gesellschaft leben und die ihren Charakter prägen, sich auch als eine Gemeinschaft verstehen, meint Carsten Brosda.

Ganz offensichtlich sind die Zeiten vorbei, in denen das bundesrepublikanische Pathos der Nüchternheit aus sich selbst heraus Zustimmung zu guter Regierungspolitik erzeugt hat. Dies kann man beklagen, oder man kann sich als Partei der ­Herausforderung stellen und einen gleichermaßen normativ wie emotional anschlussfähigen Begründungszusammenhang seiner Politik liefern, der sich in einer gemeinsam zu erzählenden Geschichte verdichtet und dabei eine sich im Zusammenhalt findende Gesellschaft zum Ausgangspunkt des Nachdenkens über die Zukunft der Demokratie und des Sozialen macht. …

Die SPD muss Themen eindeutig ansprechen

Zum einen ließe sich mit dem Zusammenhalts-Frame die Frage nach dem legitimen Zugang zur Teilhabe am Haben und am Sagen in unserer Gesellschaft neu beantworten. Nicht wenige politische Beobachter raten der sozialdemokratischen Partei ja aktuell und ganz besonders nach dem Wahlerfolg ihrer migrationskritischen dänischen Schwesterpartei, die Antwort bezüglich der Zugehörigkeit zum Wir unserer Gesellschaft enger zu fassen, als es bislang der Fall ist. Dahinter steckt der richtige Gedanke, die verloren gegangene Rolle als „Schutzmacht der kleinen Leute“ wieder zu erlangen.

Allerdings muss die SPD aufpassen, dass sie dabei nicht ihre in Europa ­beinahe einzigartige programmatische Kombination von gesellschaftlicher Liberalität und sozialer Sicherheit gefährdet. Sie muss in einer auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt bezogenen Politik vielmehr entscheidende, auch angstbesetzte Themen klar und eindeutig adressieren, um zu verdeutlichen, dass aus der Verbreiterung der Teilhabe allein noch keine Relativierung der Rechte folgt, über die andere schon seit längerem verfügen.

In der aktuellen gesellschaftlichen Lage … sinkt die Bereitschaft der Bessergestellten, die weniger Glücklichen und Erfolgreichen solidarisch zu unterstützen. … Es ist deshalb eine gesellschaftspolitisch höchst relevante Frage, wie wir das Gefühl der wechselseitigen Verantwortung füreinander innerhalb einer Gesellschaft erhalten und so eine solidarische Mitte als Kristallisationspunkt gesellschaftlicher und politischer Gestaltung schaffen.

Eine Gemeinschaft der Vielen

Dies wird nicht leichter in einer Gesellschaft, deren soziale und kulturelle Vielfalt zunimmt. Aber es ist möglich. Deswegen geht es nicht darum, Vielfalt zu reduzieren. Natürlich konstituiert sich Gesellschaftlichkeit aus jenen, die zu einem Zeitpunkt Teil der zusammenlebenden Gruppe sind. … Dass die Regeln unserer Gesellschaft auf die Wahrung ihrer Offenheit gerichtet sind, ist auch ein Verdienst sozialdemokratischer Politik und sollte Ansporn sein, hier einen normativen Pflock zu rammen und mit Verve auch in den klassischen Milieus, die derzeit noch skeptisch sind und sich in Teilen in ihrem Status bedroht fühlen, um Zustimmung zu werben. …

Es kommt darauf an, dass die Vielen und die Verschiedenen, die in unserer Gesellschaft leben und die ihren Charakter prägen, sich auch als eine Gemeinschaft verstehen, deren Mitglieder sich wechselseitig aufeinander beziehen und die durch die Verbundenheit mit und an einem Ort auch eine emotionale Beziehung zueinander aufbauen können. … Angesichts der vielen Fragen und Verunsicherungen ist es deshalb wichtig, nicht nur über die Freiheit zu sprechen, sondern auch darüber, wie die indivi­duelle Freiheit zur Solidarität und zur Gemeinschaft befähigt.

Die Demokratie wirkt wie gelähmt

Die zweite auf den Zusammenhalt gerichtete Aufgabe fokussiert nicht auf die Zusammensetzung der Gesellschaft, sondern auf ihre Fähigkeit zur Selbstorganisation. Aktuell ist in den politischen Debatten immer wieder zu spüren, dass viele Bürgerinnen und Bürger das Vertrauen in die Handlungskraft demokratischer Politik verloren haben. Im Vergleich zu den Entwicklungen an anderen Orten in der Welt kann man diese Skepsis durchaus verstehen, wenn man sich die Rasanz globalisierter Märkte oder die Transformations­geschwindigkeit Chinas vor Augen führt. Die Demokratie kommt hier aufgrund ihrer vielfältigen Ausgleichs- und Verhandlungsmechanismen wie im ­Schneckentempo daher, wirkt wenig ambitioniert in den Ergebnissen und bisweilen fast wie gelähmt.

Dabei liegt in ihrer Organisationsform ein gerade im Angesicht der aktuellen Herausforderungen herausragendes Versprechen – nämlich das, dass alle Bürgerinnen und Bürger der Gesellschaft mitbestimmen können, wie sie leben wollen. Und dass diese Vorstellungen mittels eines handlungsfähigen Staates als Instrument der Gesellschaft um- und durchgesetzt werden können. … Auch hier täte der Politik bisweilen etwas mehr normatives Pathos durchaus gut, um die Dimension dieser fortgesetzten Aufgabe besser zu vermitteln. Eine Partei wie die SPD jedenfalls sollte die aktuellen Ängste um die Zukunft der Demokratie ernst nehmen. … Das aus dem Geiste gesellschaftlichen Zusammenhalts heraus anzugehen, gehört auf die Agenda der stolzen Demokratiepartei SPD. …

Zuversicht für die Gesellschaft

Zukunftsfähig wird ein erneuerter sozialdemokratischer Begriff der Solidarität dann werden, wenn es ihm gelingt, individuelle bürgerliche Rechte und reziproke, solidarische Verantwortung innerhalb einer Gruppe miteinander zu versöhnen. … Gemeinsam weitermachen im Geiste der Kraft der Solidarität – diese Zuversicht braucht unsere Gesellschaft insgesamt. Eine politische Kraft, die sie vermitteln kann, wäre auch in der Lage, die politische Führungsrolle anzustreben.

Der Text ist ein gekürzter Auszug aus Carsten Brosdas Buch „Die Zerstörung“.

Autor*in
Carsten Brosda

ist Senator für Kultur und Medien der Freien und Hansestadt Hamburg sowie Vorsitzender des Kulturforums der Sozialdemokratie. Sein jüngstes Buch „Die Kunst der Demokratie“ ist bei Hoffmann und Campe erschienen.

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