Warum die Veranstaltungsbranche weiterhin Hilfe braucht
IMAGO/Arnulf Hettrich
Dieser Sommer bot für viele einen Lichtblick: Konzerte der letzten beiden Jahre konnten nachgeholt werden, Clubs und Bars waren ohne Einschränkungen geöffnet und Festivals luden zum ausgelassenen Feiern ein. Man könnte denken, der Kultur- und Veranstaltungswirtschaft gehe es nach der Corona-Durststrecke wieder gut. Doch vor allem kleinere und mittelgroße Veranstalter*innen und Künstler*innen sind noch längst nicht über den Berg.
„Sonst habe ich 1000 Leute bei Tanzveranstaltungen zu fassen, jetzt nicht einmal 200“, erzählt Veranstalter und DJ Stephan Nanz im Gespräch mit den SPD-Bundestagsabgeordneten Sönke Rix und Bettina Hagedorn, „und spätestens seit Oktober läuft nicht mehr viel“. Mit ihm in der digitalen Runde sitzen Veranstaltungstechniker*innen, Kinobetreiber*innen, Künstler*innen – und sie stimmen ihm zu: Wer auf Außenflächen ausweichen konnte, schließt sich der Erzählung vom „Spitzensommer“ an. Aber Herbst und Winter ziehen Veranstaltungen zurück in den Innenraum – und hier wird es kompliziert.
#wirbleibenzuhause als Problem
„Die Corona-Zeit ist nicht vorbei“, führt Florian Bock, selbstständiger Tontechniker, aus. Die Angst vor einer Infektion besteht auch diesen Winter. Und nicht nur diese verändert das Freizeitverhalten – viele hätten sich während der langen Schließzeiten von Clubs und Co. abgewöhnt, Veranstaltungen zu besuchen. Wer zum Beispiel einen Konzertbesuch in Betracht ziehe, entscheide inzwischen eher spontan über den Kartenkauf – auch aufgrund der Sorge vor einer Absage der Veranstaltung oder davor, selbst am Veranstaltungstag krank zu sein. „Während früher etwa 80 Prozent der Karten im Vorverkauf einer gut besuchten Veranstaltung verkauft wurden, sind es heute eher 10 Prozent“, berichtet Wolfgang Röttgers, Vorsitzender des Kulturforums Schleswig-Holstein. Und ohne Vorverkäufe seien Veranstaltungen nicht planbar.
„Die Vorproduktionskosten einer Tournee sind bei geringem Vorverkauf kaum zu tragen“, bekräftigt Marcus Pohl, Vorsitzender der Interessengemeinschaft der selbständigen DienstleisterInnen in der Veranstaltungswirtschaft. Und die Kosten schnellen aktuell in die Höhe. Nicht nur die Energiepreise, auch der Aufwand für Catering, Security, Technik oder Equipment steigen, was sich wiederum auf die Ticketpreise auswirkt – auch nicht einfach in einer Zeit, in der sich das potenzielle Publikum mit generell gestiegenen Lebenshaltungskosten konfrontiert sieht.
Rix appelliert an Landesregierungen
Und dann ist da noch eine mögliche Maskenpflicht. Laut Marcus Pohl und Florian Bock käme diese für Teile der Branche einem Berufsverbot gleich. Das Infektionsschutzgesetz sieht keine einheitlichen Regelungen zur Maskenpflicht vor, sondern überlässt diese den Ländern. „Es sollte jedoch ein gemeinsames Vorgehen der Bundesländer geben“, appelliert Sönke Rix an die Landesregierungen. Bei gleicher Inzidenz und Gefahrenlage müssten einheitliche Regelungen geschaffen werden. „Veranstalter brauchen verlässliche Vorgaben, um planen zu können.“ Auch die Verunsicherung des Publikums ließe sich ohne einen Regel-Flickenteppich reduzieren.
Die Akteur*innen der Veranstaltungswirtschaft sehen in einer Testpflicht, vor allem für Kinos, Konzerte und Clubs, die bessere Alternative zur Maskenpflicht. Tests müssten dafür allerdings wieder kostenfrei zugänglich sein. Sönke Rix stellt klar, dass Ersatzleistungen bereits gezahlt werden müssten, sobald Einschränkungen vorliegen. Zu diesen gehöre auch eine Maskenpflicht.
Suche nach zielgenauen Lösungen
„Es ist unglaublich schwer, zielgenau auf die Probleme der Branche zu reagieren“, erläutert Fraktionskollegin Bettina Hagedorn. Ein vermehrter Zugriff auf den im Mai 2020 vom Bund aufgelegten Sonderfonds für die Veranstaltungsbranche wäre in ihren Augen jedoch ein wichtiges Indiz. Von den ursprünglich 2,5 Milliarden Euro, die unter anderem coronabedingte Veranstaltungsausfälle kompensieren sollten, seien noch 1,5 Milliarden übrig. Was vermittelt, die Branche sei besser durch die Krise gekommen als dargelegt. Auf den Fonds kann noch bis Ende des Jahres zugegriffen werden, dann würde er in den geplanten Schutzschirm gegen erhöhte Energiekosten aufgehen.
Die Branche blickt zwar trotz allem positiv nach vorn, gibt der Politik aber konkrete Wünsche mit auf den Weg: Corona-Regeln müssten einheitlich, Hilfen sowohl für Großunternehmen als auch Solo-Selbstständige hürdenfrei erreichbar sein und auch der „Doppel-Wumms“ des Kanzlers wird dringend benötigt. Das veränderte Freizeitverhalten des Publikums lasse sich hingegen nicht politisch abfedern. Da bleibt dann nur ein Appell der Branche an die Gesellschaft: Für Tickets den Vorverkauf nutzen, Veranstaltungen besuchen und einen Film im Kino anstatt von der Couch aus schauen.
ist Praktikantin im Abgeordnetenbüro von Sönke Rix und Studentin der Rechtswissenschaften.