„Waldheims Walzer“: Die dunkle Seite des Kandidaten
Der Fall Waldheim war auch ein Fall Österreich. Am 8. Juni 1986 wurde der frühere UN-Generalsekretär und Außenminister zum österreichischen Bundespräsidenten gewählt. Die ÖVP triumphierte. Doch die Siegesfreude war getrübt. Kurz vor der Wahl waren bis dahin unbekannte Details zu Waldheims Rolle während der NS-Zeit bekannt geworden. Ein breites Protestbündnis formierte sich gegen den Kandidaten der Konservativen. Der bis dahin gepflegte Mythos von Österreich als Hitlers erstem Opfer geriet ins Wanken.
Waldheims Rolle während der NS-Zeit
Erstmalig befasste sich eine breitere Öffentlichkeit mit der Verstrickung der Älteren in die Nazi-Gräuel. Nach einer von Trotz getragenen Kampagne („Jetzt erst recht“) machte Waldheim zwar das Rennen. Doch der Preis war hoch: Bis zum Ende der Amtszeit blieben der Präsident und sein Land international isoliert. Weil US-Präsident Ronald Reagan den Hausherren der Wiener Hofburg auf seine Watchlist gesetzt hatte, durfte dieser nicht in die USA einreisen.
Die Waldheim-Fans standen vor einem Dilemma: Eigentlich wollten sie sich im Glorienschein des „Österreichers, dem die Welt vertraut“ sonnen. Stattdessen stand die Republik vor einer Zerreißprobe. Auch die 1952 geborene Filmemacherin Ruth Beckermann mischte sich unter die Protestierenden. Der Wiener Künstlerin ging es aber auch darum, die Causa zu dokumentieren, also zu zeigen, wie die Dinge wirklich sind.
Das hatte in Zeiten, wo das Waldheim-Lager seine Gegner verunglimpfte und Fakten als Verleumdung oder Lüge schmähte (heute hieße es „Fake News“), durchaus mit einer politischen Haltung zu tun, zumal das staatliche österreichische Fernsehen das Thema anfangs nur mit spitzen Fingern angefasst hat. Beckermann hielt die zum Teil erbitterten Auseinandersetzungen zwischen Gegnern und Anhängern Waldheims bei Wahlkampfveranstaltungen fest. Aber auch die Gestik und Mimik des einstigen Vorzeigediplomaten kommen in den Aufnahmen intensiv zur Geltung.
Aktueller denn je: Rechtspopulismus in Österreich heute
30 Jahre später stieß Beckermann wieder auf das Material von damals. Angesichts des nicht nur in der Alpenrepublik erstarkenden Rechtspopulismus erschienen sie ihr aktueller denn je. Gleichzeitig wollte sie jüngere Zeitgenossen auf die lange Vorgeschichte der Rhetorik von FPÖ-Vizekanzler Heinz Strache und anderen Rechtsaußen-Granden hinweisen und deutlich machen, welches Ausmaß und welche Folgen verbale Entgleisungen haben können, wenn der erste Schritt erst einmal gemacht ist. So entstand die Idee, die Bilder für eine Dokumentation zu verwerten.
„Waldheims Walzer“ zeigt aber noch viel mehr. Um deutlich zu machen, was für weite Kreise die Affäre zog, ergänzte Beckermann Archivmaterial vom ORF sowie aus den USA, Frankreich und Großbritannien. Wie im Zeitraffer erleben wir die Entwicklung von den ersten Medienberichten über Waldheims Zeit als Nachrichtenoffizier der Wehrmacht auf dem Balkan, wo er unter anderem Exekutionslisten verarbeitete, bis hin zur Stichwahl im Sommer. Es mutet gespenstisch an, wie der Kandidat unbeirrt über Marktplätze tourt und in Interviews die immer erdrückendere Faktenlage vom Tisch wischt.
Berlinale zeichnet Film aus
Nicht weniger bedenklich ist die sich steigernde verbale Gewalt seiner Anhänger, die sich mitunter offen antisemitisch zeigen. Ein hoher Funktionär der ÖVP bezeichnet die Führung des Jüdischen Weltkongresses, der immer wieder heftige Attacken gegen Waldheim fährt, gar als „ehrlose Gesellen“. Nicht nur Waldheim, sondern große Teile der Gesellschaft ringen um die Deutungshoheit über eine Vergangenheit, die bis dahin verdrängt wurde und nun mit Kategorien wie „nur meine Pflicht getan und anständig geblieben“ zurechtgebogen werden soll. Waldheim als Stellvertreter: Die erbitterte Auseinandersetzung, die Beckermann aus nächster Nähe erlebbar macht, wirkt bis heute fort. Das erklärt einen beunruhigenden Effekt: Die zusammengeschnittenen Bilder wirken in Zeiten zunehmender Polarisierung äußerst aktuell.
Gleichwohl ist der bei der Berlinale ausgezeichnete Film um analytische Distanz bemüht. Letztendlich geht es darum, wie Erinnerung entsteht. „Erinnerung konstituiert sich immer wieder neu“, sagt Beckermann. „Das betrifft unsere eigene, je nachdem, welche Prioritäten wir gerade in der Gegenwart setzen. Und auch die kollektive und nationale Geschichte wird immer wieder um- und neu geschrieben. Insofern war es nicht nur interessant, mein eigenes Material wieder zu sehen, sondern auch meine eigenen Erinnerungen zu überprüfen.“ Zu dieser Konstruktion von Erinnerung leistet Beckermanns Film einen wichtigen Beitrag.
Info: „Waldheims Walzer“ (Österreich 2018), ein Film von Ruth Beckermann, 93 Minuten. Jetzt im Kino