Die Figuren in den zwölf Kurzgeschichten scheinen festgefahren in ihrem Alltag. Ihr Leben ging irgendwann in eine Richtung, in die es eigentlich nie gehen sollte. So hat Heidi in der
Erzählung "Drei Schwestern" ein Kind und führt eine eintönige Ehe, statt wie geplant an der Wiener Akademie der Künste zu studieren. In "Wir fliegen" ist Angelika mit einem Mann zusammen, der sich
nicht für sie interessiert - alles ist zur Gewohnheit erstarrt. Und Bruno wartet in "Der Befund" nach langjähriger Ehe alleine auf ein Untersuchungsergebnis.
Erwachen aus dem Tiefschlaf
Stamms Helden führen ein tristes Leben, sie scheinen aufgegeben zu haben. Und doch erleben sie alle ganz unerwartet einen Wendepunkt. Es passiert nichts Aufregendes oder Tragisches in seinen
Erzählungen. Vielmehr kommt der Umbruch aus den Figuren selbst - in einem Moment, der nur ihnen gehört.
In hoch konzentrierter Form erzählen Stamms Geschichten von einer undefinierten Sehnsucht, die Überhand gewinnt. Und ganz plötzlich scheint es, als erwachten die Figuren aus ihrem Tiefschlaf
- bereit ihr Leben zu ändern.
Ob das tatsächlich geschieht, bleibt offen. Die Erzählungen des Schweizers kreisen um diese Umbruchssituationen, sie beschreiben den Weg dahin. Mit den Einsichten enden seine Geschichten. Und
doch scheinen sie sehr deutlich Neuanfänge zu beschreiben - auf eine sehr leise und unaufgeregte Weise. Und gerade damit berührt Stamm den Leser.
Birgit Güll
Peter Stamm: "Wir fliegen". Erzählungen, 2008, S. Fischer Verlag, 174 Seiten, 17,90 Euro, ISBN 978-3100751287
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