Kultur

Von Räubern und Stimmungspolitikern

von Die Redaktion · 23. September 2005

Das gilt auch für sein neuestes Werk, in dem sich der langjährige Journalist (taz, Berliner Zeitung, FAZ) wieder einem bislang möglicherweise unterbewerteten Aspekt der NS-Vernichtungspolitik zuwendet. Hatte Aly in "Vordenker der Vernichtung" (1990) und "Endlösung" (1995) bereits den Zusammenhang zwischen wirtschaftlichen Zwängen des Hitler-Regimes, den "Umvolkungs"- und Raumplanungen und dem Völkermord an den Juden hergestellt, so spitzt er seine Analyse in "Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus" weiter zu. Konträr zum dominierenden Forschungskanon stellt Aly die These auf, der Holocaust sei der "konsequenteste Massenraubmord der modernen Geschichte" gewesen. Ein von den Nazi-Eliten rücksichtslos vorangetriebener Beutezug durch Europa. Und eben als solcher müsse er auch rezipiert werden.



Der Autor stützt seinen politökonomischen Erklärungsansatz auf in geschichtskriminalistischer Kleinarbeit zusammengetragenes Quellenmaterial. Den nationalsozialistischen Volksstaat entlarvt Aly als "Gefälligkeitsdiktatur" mit dem primären Ziel, das NS-System und seine ausländischen Kollaborateure zu bereichern. Die innenpolitische Taktik beschreibt er treffend als "sozialpolitisches Appeasement". Durch das Aufbrechen traditioneller Hierarchiestrukturen und das Ausschütten populärer Wohltaten, wie z.B. Ehestandsdarlehen, Kindergeld oder die Erhöhung des steuerfreien Grundbetrags, gelang es den Nazis innerhalb relativ kurzer Zeit, ihre zu Beginn noch höchst labile Herrschaft zu festigen und sich die nötige Loyalität der Massen zu erkaufen. Mit der oft beschworenen Volksgemeinschaft war es demnach nicht weit her. Materielle Bestechung und Korrumpierung seien an der Tagesordnung gewesen. Detailliert geht Aly danach auf die exzessive Ausbeutung der besetzten Gebiete ein, mittels derer das Deutsche Reich sich und seine Kriege nach Ansicht des Historikers hauptsächlich finanzierte. Folge der systematische Zwangsumsiedlung, Vertreibung und Ermordung von Juden oder anderen "Volksschädlingen" war ein "groß angelegter, gesamteuropäische Geldwäschevorgang", von dem neben den Größen des Regimes auch Industrieunternehmen, Banken und Versicherungen profitierten.

Götz Aly hat ein ebenso schlüssiges wie scharfsinniges Buch verfasst. Die Thesen sind deshalb so unbequem, weil sie den gängigen Vorstellungen zuwider laufen, welche den terroristischen Charakter des Dritten Reiches in den Vordergrund stellen. Aly erklärt den Holocaust eben nicht in den Termini einer rassistischen Exekutive, sondern stellt wirtschaftliche Interessen über das gemeinhin als Triebkraft der Judenverfolgung gesehene ideologische Moment der Nazi-Herrschaft. Ob er mit diesem etwas monokausalen Ansatz richtig liegt, ist vor allem angesichts des in Deutschland seit Jahrhunderten gepflegten und von den Nationalsozialisten radikalisierten Antisemitismus durchaus kontrovers zu diskutieren. Damit hätte der "Provokateur" sein persönliches Ziel aber vermutlich bereits erreicht.

Michael Funk

Götz Aly: Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 2005, 445 Seiten, EUR 22,90, ISBN 3-10-000420-5

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