Kultur

Von MitgliederInnen und weiblichen Lehrern

von Anna Hoff · 27. Oktober 2010
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Die Debatte um Vor- und Nachteile inklusiver Sprache - also der Verwendung männlicher und weiblicher Begriffe gleichermaßen - lässt viele Frauen und Männer synchron die Augen verdrehen. In der Sprachdebatte gibt es mittlerweile nur noch schwarz und weiß. Sämtliche Graustufen sind von der Argumente-Palette verschwunden. Als gäbe es nur zwei Möglichkeiten, diese ewige Diskussion um die wahrhafte Gleichberechtigung auf Papier von Männern und Frauen zu führen: entweder gar nicht oder übertrieben, laut, aggressiv. Es ist also an der Zeit, das Bild neu zu zeichnen.

Texte gendern

Machen wir es kurz für all jene, die neu in diese Thematik einsteigen: Die Geschlechter-Forschung geht davon aus, dass es neben dem biologischen auch ein soziales Geschlecht gibt. Es gilt aufzuzeigen, dass und inwiefern Frauen und Männer aufgrund ihres Geschlechts ungleich behandelt werden. Im Englischen gibt es dafür die beiden Begriffe "Sex" (für das biologische Geschlecht) und "Gender" (für das soziale Geschlecht). Um im Deutschen auf Wörter wie "Vergeschlechtlichung" zu verzichten, schöpfen Wissenschaftler wie Politikerinnen aus der englischen Begriffskiste und verwenden auch in der hiesigen Diskussion "Gender" und "gendern".

Einen Text zu gendern bedeutet folglich, seinen Inhalt auf die einseitige Verwendung von männlichen Begriffen hin zu überprüfen und gegebenenfalls geschlechtsneutrale Ausdrücke zu finden. So werden aus Studenten Studierende, aus Teilnehmern Teilenehmende und aus Lesern entweder Leser und Leserinnen oder schlicht und ergreifend LeserInnen.

Und während in den Redaktionen der Bundesrepublik noch über die Sinnhaftigkeit dieses Unternehmens debattiert wird, liegen in den Rathäusern, Ministerien und anderen exekutiven Einrichtungen dieses Landes die Gender-Leitfäden bereits auf dem Tisch. Europa gendert seit Maastricht und die deutschen Behörden machen mit.

Die deutsche Sprache ist lernfähig

Der Duden kennt das Wort "gendern" nicht. Und er kennt auch keine Substantive mit großem I in der Mitte. Ein gefundenes Fressen für alle, die sich gegen die Sprachdebatte und damit gegen die sprachliche Gleichberechtigung aussprechen. So sagt beispielsweise der stellvertretende Chefredakteur des Spiegels, Martin Doerry, er habe nichts gegen Gleichberechtigung in der Sprache. Allerdings kenne er keine geeignete Form, die dem Platzmangel von Printerzeugnissen gerecht werde. Leser und Leserinnen sei eindeutig zu lang und LeserInnen schlichtweg falsch. "Wenn uns jemand eine vernünftige, leserfreundliche Regelung anbietet, übernehmen wir die natürlich gerne."

Das Duden-Argument wird in erster Linie von den Herren der Schöpfung vorgebracht - und sie haben eindeutig Recht, wenn sie sagen: Wörter mit Binnen-I kennt die deutsche Sprache nicht. Jedoch kannte die deutsche Sprache in der Vergangenheit so manche Begriffe nicht, aber sie war lernfähig genug, sie sich anzueignen. Inzwischen kann der Duden sogar Laptop, Telenovela, Publikumsjoker und Internettelefonie buchstabieren - im Gegensatz zu so manchem Office Rechtschreibprogramm.

Und auch wenn die große Letter inmitten von Kleinbuchstaben nicht jedem ästhetischen Empfinden gerecht wird, prägt nach herrschender Meinung Sprache das Bewusstsein. Demzufolge muss es Momente geben, da die Ästhetik dem politischen Statement weicht und sich Sprache weiterentwickeln kann - zugunsten aller, auch wenn das zuweilen unbequem ist.

Gleichberechtigung in der Sprache

Sprache wurde über Jahrhunderte hinweg von Männern "gemacht". Martin Luther, Johann Wolfgang von Goethe, Johann Christoph Adelung, die Gebrüder Grimm, Konrad Duden - sie alle haben den deutschen Wortschatz maßgeblich geprägt, ja dominiert. Denn Frauen spielten im gesellschaftspolitischen Leben keine Rolle. Sie waren quasi unsichtbar, im öffentlichen Diskurs nicht vorhanden. Konsequenterweise beeinflusste diese Lebenswirklichkeit den Sprachgebrauch. Sprache wurde von Männern gesprochen, von Männern codiert und von Männern aufgeschrieben. Und eben dieses Ergebnis ist bis heute fest zementiert zwischen zwei Buchdeckeln.

Aber die Welt verändert sich. Veränderung bewirkt im besten Sinne Erkenntnis, die dazu führt, dass jene Ansprüche erheben, die sich bis dato eher zurückgehalten haben. So fordern Frauen bereits seit Jahrzehnten, gleichberechtigt neben den Männern in dieser Gesellschaft zu stehen. Veränderung ist eine Schnecke. Doch irgendwann dämmerte es dem einen oder anderen Chefredakteur (und hier ist ganz bewusst nur die männliche Form gewählt, weil sich Chefredakteurinnen noch immer an einer Hand abzählen lassen), dass die in seiner Publikation gewählte Sprache nicht ganz der um ihn herum erstrittenen Gleichberechtigung entsprach.

Frauen werden nicht mitgedacht

Ergo wurde fortan das erste männliche Substantiv im Text mit einem Sternchen versehen, das darauf hinweisen sollte, dass natürlich die grammatikalisch männliche Form stets beide Geschlechter umfasst. "Im Sinne der Lesefreundlichkeit verzichtet die Redaktion jedoch in den Artikeln auf doppelte Nennung von männlichen und weiblichen Substantiven sowie auf das Binnen-I." So stand es sogar noch bis vor einem Jahr im stipendiatischen Magazin der Friedrich-Ebert-Stiftung forum, das sich seit Jahrzehnten unbeirrt für mehr Sozialdemokratie in unserer Gesellschaft ausspricht. Dabei ließ Familienministerin Renate Schmidt (SPD) bereits 2005 in den Gender-Leitfaden ihres Ministeriums schreiben: "Eingangsbemerkungen bei Broschüren oder Berichten wie 'Zur besseren Lesbarkeit wird das generische Maskulinum verwendet' oder 'Bei männlichen Formulierungen sind Frauen mitgedacht' sind nicht akzeptabel."

Denn Frauen werden schlichtweg nicht mitgedacht. Die Wissenschaft hat nachgewiesen, dass die Verwendung der männlichen Form symbolisch wie faktisch zur Benachteiligung von Frauen führt. Der Beamte, der Bürger, der Lehrer, der Vorgesetzte - wer stellt sich darunter schon eine Beamtin, eine Bürgerin, eine Lehrerin vor? Im Deutschen beherrscht die männliche Form zur Bezeichnung weiblicher und männlicher Personen das Sprach- und Schriftbild. Und das hat Auswirkungen: Viele Frauen bezeichnen sich inzwischen selbst als Vegetarier, Student oder Jurist. Das ist befremdlich und grammatikalisch ebenso falsch. Warum muss sich eine Frau als Bürger angesprochen fühlen, ein Mann als Bürgerin aber nicht? Was gibt es für triftige Argumente dafür, außer, dass es "schon immer" so war?

Bewusstsein schaffen - bei Frauen und Männern

Es ist unbestritten, dass mitunter in der geschlechtergerechten Sprach-Diskussion mächtig übertrieben wird. Da werden MitgliederInnen erfunden, der kleine "man" durch die kleine "frau" ersetzt und indische Taxifahrer gegendert, obwohl es in ganz Indien keine einzige Taxifahrerin gibt. Und natürlich ist die Frage berechtigt, wie sinnvoll es ist, über Rechtschreibung und Grammatik zu diskutieren, statt Argumente über Rentengerechtigkeit, Krankenkassenreformen und Vorratsdatenspeicherung auszutauschen - wie ein offensichtlich verärgerter Herr im Januar dieses Jahres den Blogeintrag " Gendergerechte Sprache im vorwärts" kommentierte.

Recht hat er, wenn er sagt, dass in die Rentenreformdebatte "auch Beamte, Freiberufler, Millionäre" miteinbezogen werden müssen. Will er aber, wie er sagt, "alle" miteinbeziehen, sollte er sich auch über die Beamtinnen, Freiberuflerinnen und Millionärinnen Gedanken machen, denn schließlich machen Frauen mehr als 50 Prozent unserer Gesellschaft aus und wollen sich angesprochen fühlen. Letztlich geht es also darum, Bewusstsein zu schaffen - bei Frauen wie Männern gleichermaßen - für unsere noch immer sehr vermännlichte Sprache und die damit verbundene androzentristische Herangehensweise an gesellschaftliche Probleme.

Gesellschaft und Sprache neu denken

Die Debatte um die Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern stagniert zurzeit, weil sie von vielen als vollständig errungen angesehen wird. Junge Frauen, die sich bereits als gleichberechtigt und vollkommen emanzipiert empfindet, haben kein Verständnis für die noch immer geführte Gender-Debatte, die vor allem in akademischen Kreisen verortet ist. Die tatsächliche anhaltende soziale Ungerechtigkeit zwischen den Geschlechtern wird negiert. Das mag auch daran liegen, dass sich die Töchter und Enkelinnen der zweiten Frauenbewegung der 1960er Jahre immer mehr an die männliche Welt "angepasst", sich in ihr zurechtgefunden haben und bis heute ihren Platz in den vorgegebenen Strukturen suchen, anstatt Gesellschaft - und Sprache - neu zu denken.

Feministin will heutzutage keine mehr sein. Dann schon lieber freches Alphamädchen oder erfolgreiche F-Klasse-Frau. Das klingt weniger nach Alice Schwarzer, Kampflesbe und Emanze und erfordert nicht unbedingt, sich eindeutig zu positionieren. "Das brauche ich nicht. Ich bin doch gleichberechtigt", sagt die eine, während der andere vollkommen selbstverständlich sagt: "Natürlich nimmt meine Freundin meinen Nachnamen an. Das war doch schon immer so." Und so diskutieren, schimpfen und belächeln sie sich gegenseitig und aneinander vorbei.

An dieser Stelle sind Medien und Politik gefragt: Sie müssen die öffentliche Debatte, die aufgrund von Vorurteilen, Stereotypen und Antipathien zum erliegen gekommen ist, wieder anführen. Wir brauchen einen konstruktiven Dialog, keine vorgefertigten Meinungen und althergebrachten Argumente. Wir brauchen eine Sprache, die alle anspricht; denn nur so kann Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass alle gleichermaßen für die positiven wie negativen Entwicklungen innerhalb dieser Gesellschaft gemeinsam verantwortlich sind.

Der vorwärts freut sich auf das Barcamp Frauen.

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Anna Hoff

Anna Hoff (27) ist Diplom-Politologin, freie Journalistin und Ehemalige der Friedrich-Ebert-Stiftung. In Marburg und Quebec hat sie Politikwissenschaft Jura und Französisch studiert (Schwerpunkt: Entwicklungspolitik). Heute lebt sie in Bonn.

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