Kultur

Von heute aus gesehen

von ohne Autor · 21. September 2007

Der Interviewte und die Interviewerin kennen sich aus kurzen Gesprächen lose über die Jahre hin. Er, 1926 in Hamburg geboren, ist ein bekannter Schriftsteller und war bis 1990 Präsident des DDR-Schriftstellerverbandes. Sie, Jahrgang 1950, in Chemnitz geboren, Slawistin und Anglistin, promovierte Literaturwissenschaftlerin und Essayistin, arbeitet in der Redaktion des "Neuen Deutschland".

Für das Blatt war er viele Jahre zuvor ganz am Anfang seiner literarischen Karriere als freier Autor tätig. Das Fixum von 500 Mark im Monat, dann bei geringerem zeitlichen Einsatz von 300 Mark, half ihm seinen berühmten Erstlingsroman "Die Aula" zu schreiben. Die Interviewerin bemerkt, ihre Mutter habe zur gleichen Zeit mit täglich achtstündiger Arbeit in einer Großküche 350 Mark im Monat verdient, und da sind wir bereits mittendrin in den Zeitläufen der DDR, die ein Arbeiter- und Bauern-Staat sein sollte und wollte.

Lebenssichten

Die Autorin wie die Journalistin wissen beide um das, wovon sie reden. Es geht immer wieder um die Vergangenheit in der DDR und darum, was - dies am Beispiel des befragten Schriftstellers - aus solcher Vergangenheit an Erfahrungen und Lebenssichten entstehen konnte und kann. 80 Jahre allerdings sind eine lange Zeit. Das im Interview aufgeblätterte Leben des Hermann Kant gibt Einblick in die deutsche Geschichte über das Entstehen der DDR hinaus. Idealisierenden Mythen von der Rolle der Frau als Mutter in Hitlerdeutschland etwa wird Raum entzogen, wenn vom kärglichen Alltag der mit sechs Kindern gesegneten Mutter des Autors erzählt wird, die man allerdings auch in der DDR nicht glücklich sein ließ und die nach dem 17. Juni 1953 nach Hamburg zurückkehrte.

Kant stand zu seiner Mutter, aber auch zu dem Staat DDR, der sich 1949 gegründet hatte. Er sah sich in der Pflicht und er wurde gefördert, denn er gehörte der Generation derer an, die als 18-jährige Soldaten mit der faschistischen Wehrmacht in fremde Länder eingefallen waren. Und kehrte in der Überzeugung zurück, etwas wiedergutmachen zu müssen an denen, die im Widerstand gewesen mit dem Leben gebüßt hatten oder aus Konzentrationslagern und Emigration zurückgekehrt an der Spitze des neuen Staates standen.

Ideale

Im Interview ist nachzulesen, wie er im Weiteren seinen Weg nahm und wie es möglich war, dass dieser kritische und scharfzüngige Geist bei allem, was geschah, und aller partiellen Kritik doch an die DDR glaubte, wie übrigens viele andere auch.

Lebenswege erschließen sich nur im Konkreten und der Mensch ist innerlich nicht so frei in seiner Wahl, wie es von heute aus manchmal erscheint.

Hermann Kant gehörte der DDR-Generation an, die - endend erst mit dem Mauerbau 1961 - zunächst noch die Wahl zwischen Ost und West hatte. Sie war daher auch in sich konträrer als folgende Generationen, die sich insgesamt einzurichten hatten.

Familiäre und eigene Erfahrungen prägen individuelle Sichten. Kants später im Krieg gefallener Vater wurde 1933 vom Orchideengärtner zum Straßenkehrer degradiert, weil er nicht seine Zustimmung zur politisch motivierten Entlassung eines Kollegen gab. Solches frühe Erleben ist ebenso wie das von Krieg und Gefangenschaft nicht leicht zu vergessen. Antifaschistische Haltungen in dieser Generation waren zweifellos nicht nur verordnet. Ein ganz neuer Weg wurde gesucht. Auch noch heute grübelt der Autor, was falsch gemacht wurde. Das Ideal war so schön.

Dorle Gelbhaar



Irmtraud Gutschke "Hermann Kant Die Sache und die Sachen", Das Neue Berlin 2007, 255 Seiten, 14,90 Euro, ISBN 978-3-360-01906-6

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