Kultur

Von großen und kleinen Lügen

von Anina Kühner · 30. August 2012

Das Märchenerzählen hat in der Politik und der Wirtschaft eine lange Tradition. Scharfsinnig und treffsicher wagt der Kabarettist Dieter Hildebrandt mit seinem neuen Hörbuch „Es war einmal...meistens aber öfter“ einen Streifzug durchs deutsche Lügendickicht. Dabei beschäftigt er sich mit Skandalen der jüngeren Zeit – vom Versagen des Verfassungsschutzes bei den Neonazi-Morden bis zur Plagiats-Affäre um den Ex-CSU-Minister Guttenberg.

Hildebrandt bedauert das Sterben des Sozialstaats. Früher verhandelten Arbeitgeber und Arbeitnehmer, heute werde vom gesichtslosen Management diktiert. Die freie Marktwirtschaft habe es geschafft, die Solidarität der Arbeitnehmer zu zerschlagen. Und die Politik? Die lüge sich die Statistiken schön. Sarkastisch stellt Hildebrandt fest: Wenn es so weitergehe, hätten wir bald gar keine Arbeitslosen mehr – dafür aber nur noch Menschen, die von ihrer Hände Arbeit nicht leben könnten.

Im Tunnel: Der unselige Wandel der FDP

Dies liege nicht zuletzt am unseligen Wandel der FDP, so Hildebrandt. Heute sehe sich die Partei als Türöffner für die Gierigen und bewirke damit das Gegenteil von dem, was liberale Politiker wie Hildegard Hamm-Brücher oder Gerhart Baum einstmals als ihre Aufgabe gesehen hätten. „Westerwelle ist nicht das Licht am Ende des Tunnels. Er ist der Tunnel!“, bilanziert Hildebrandt mit scharfer Zunge – und wirkt dabei ein wenig resigniert.

Ähnlich vernichtend beurteilt er die Arbeit von Verfassungsschutz und Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU). „Der Mann heißt Friedrich und ist auch sonst zu nichts zu gebrauchen!“, heißt es da. Warum alle Sicherheitsbehörden über einen so langen Zeitraum auf dem rechten Auge blind gewesen seien, dafür aber Abgeordnete der Linkspartei überwacht wurden, erschließt sich Hildebrandt nicht.

Falsche Dissertation, falsche Freunde

Die prominenteste Lüge der letzten Jahre, die falsche Doktorarbeit des Ministers zu Guttenberg nämlich, kann nicht ausgelassen werden. Dabei kommt der Ex-CSU-Politiker ebenso schlecht weg wie die Bevölkerung, die ihm so lange huldvoll zugejubelt habe. „Siebzig Prozent der Bevölkerung wollen laut Umfrage Guttenberg zurück. Das ist ganz erstaunlich, denn einer anderen Statistik zufolge wollen siebenundsiebzig Prozent ihn nicht zurück. Man muss eben nur lange genug fragen“, stellt der Kabarettist fest. Und neben dem Augenzwinkern, das bei dieser Aussage mitschwingt, dringt wieder leise die Resignation angesichts der „Dummheit von allen Seiten“ durch.

Das „hässlichste Haus in Großburgwedel“ bleibt genau wie Wulffs besondere Beziehung zur „Bild-Zeitung“ nicht unerwähnt. Trotzdem wirkt der kleine Seitenhieb auf den ehemaligen Bundespräsidenten und seine Seilschaften zwischen den ausführlichen, bitterbösen Beiträgen zu anderen Politikern eher beiläufig.

Hildebrandts Hörbuch „Es war einmal...meistens aber öfter“ macht großen Spaß. Es bringt den Hörer zum Lachen, macht aber auch nachdenklich. Man gewinnt den Eindruck, dass es trotz seiner Aktualität eine zeitlose Botschaft vermittelt: Das Märchenerzählen hat noch eine große Zukunft vor sich.

Dieter Hildebrandt: Es war einmal...meistens aber öfter. Politikerlügen - brutalstmöglich aufgeklärt, Diederichs Verlag, München 2012, Gesamtspielzeit 69:28 Minuten, 16,99 Euro, ISBN 978-3-424-35071-5

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Anina Kühner

studiert Germanistik und Buchwissenschaften in Mainz. Im Sommer 2012 absolvierte sie ein Praktikum beim vorwärts.

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