Wenn zwei Juristen aufeinander treffen, erwartet man eher Fachsimpeleien als spannenden und amüsanten Dialog. Das Gespräch zwischen Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse und der ehemaligen Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts Jutta Limbach räumte mit diesen Vorurteilen gründlich auf. Thierse hatte Limbach zu seiner Veranstaltungsreihe "Thierse trifft..." in die Kulturbrauerei nach Berlin eingeladen.
Sozialdemokratische Wurzeln
Als Jutta Limbach 1994 als erste Frau an die Spitze des höchsten deutschen Gerichts gewählt wurde, war es für sie nicht das erste Mal, dass sie eine Männerdomäne durchbrach und eine
Vorreiterrolle für die Frauen in der Politik übernahm. Und sie war damit auch nicht die Erste in ihrer Familie. Schon Urgroßmutter Pauline Staegemann hatte 1873 die erste sozialdemokratische
Frauenorganisation gegründet, den Berliner Arbeiterfrauen- und Mädchenverein. Dieser setzte sich unter anderem in einer an den Reichskanzler gerichteten Resolution für die Rechte von
Arbeiterinnen in Fabriken ein. Dass sich ihre Urgroßmutter über das Preußische Polizeigesetz hinwegsetzte, weil sie an politischen Versammlungen teilnahm, erzählt Jutta Limbach mit Stolz. "Es war
Frauen damals verboten an diesen Zusammenkünften teilzunehmen. Also hat sie einfach die Kleidung ihres Sohnes angezogen und ist trotzdem losgezogen." Großmutter Elfride Rynek setzte als
Sozialdemokratin das politische Engagement ihrer Mutter fort. Sie gehörte von 1919 bis 1920 der Weimarer Nationalversammlung an. Von 1924 bis 1933 saß Rynek im Preußischen Landtag. Jutta Limbachs
Vater wurde nach dem Zweiten Weltkrieg Bürgermeister in Berlin Pankow-Heinersdorf. Seine Tochter strahlt, wenn sie von dieser Zeit erzählt. "Es war eine große Freude mitzuerleben, wie das
politische Leben der Sozialdemokraten in Deutschland nach dem Ende der Nazis wieder erwachte."
Zweckmäßiges Jurastudium
Wolfgang Thierses Fragen nach Jutta Limbachs Berufsstart liefern erstaunliche Antworten. "Eigentlich wollte ich politische Journalistin werden." An der Uni habe sie dann
Rechtswissenschaften gewählt, weil ein Freund ihr dazu geraten habe, denn ein Journalist müsse "verstehen, über was er berichten will". Staatsrecht also. "Ich habe wie die meisten aus reiner
Zweckmäßigkeit Jura studiert und erst später Freude an dem Fach entwickelt." Die muss auch haben, wer so eine erfolgreiche Universitätskarriere hinlegt. Vor allem die sozialwissenschaftlichen
Fragen der Jurisprudenz interessieren sie. Nach dem 2. Staatsexamen 1962 tritt sie - "nach reiflicher Überlegung" - in die SPD ein. Obwohl ihr die "politische Debatten und das
Funktionärsgeschwätz" zu Hause auf die Nerven gegangen seien, wollte sie wie ihre Vorfahren politisch tätig sein. Vor allem auch als Reaktion auf die Nazizeit.
Bleibende Ausnahme
1964 heiratet Jutta Limbach und wird in den folgenden fünf Jahren drei Mal Mutter. 1968 Promotion. 1971 Habilitation. 1972 übernimmt sie die erste weibliche Professur für Zivilrecht an der
FU Berlin. "Aber Vorurteile erlebt man nicht, wenn man eine Orchidee ist. Da denken die Männer, man sei eine Ausnahme, die wieder vorbeigeht." Ist sie aber nicht. Als sie sich an der Uni als
Sozialdemokratin "outet", bittet Walter Momper sie 1989 Justizsenatorin zu werden. Sie nimmt an, weil ihr Mann Peter sagt, dass sie "nicht als graue Uni-Maus enden" dürfe.
1994 wird sie Vizepräsidentin des Bundesverfassungsgerichts und damit auch Vorsitzende des achtköpfigen Zweiten Senats. Nach der Wahl des BVerfG-Präsidenten Roman Herzog zum
Bundespräsidenten avanciert sie zur ersten Frau an der Spitze des höchsten deutschen Gerichts. "Wir waren ein Schneewittchen-Senat. Ein Schneewittchen und sieben Zwerge", meint sie lachend.
Auf die Frage woran sie sich am liebsten an die Zeit in Karlsruhe erinnere, beschreibt Jutta Limbach eine Begegnung 1995, als der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts die Bewertung der
Sitzblockaden als Nötigung kippte. "Eine junge Frau in der Berliner U-Bahn kam in der Berliner U-Bahn zu mir und lobte mich für die Entscheidung meiner Kollegen. Ich sagte ihr, dass ich an der
Entscheidung nicht beteiligt war. Sie meinte: `Aber erst seitdem sie dort sind, läuft der Laden.`"
Nach dem Erreichen der Altersgrenze am BVerfG 2002 wird sie Präsidentin des Goethe-Instituts und scheidet 2008 auf eigenen Wunsch aus dem Amt. Umtriebig sei sie immer gewesen, schon ihre
Mutter habe gefragt: "Kannst Du denn nicht mal die Hände in den Schoß legen?" Wir dürfen gespannt bleiben, was noch kommt. Völlig von der politischen Bildfläche verschwinden wird sie hoffentlich
nicht.