Kultur

Von der Denklust zum Tabubruch

von ohne Autor · 21. September 2014

Nun also Hannah Arendt. Nachdem sich Regisseurin Margarethe von Trotta immer wieder an bedeutenden Frauen der deutschen Geschichte versucht hat, geht es diesmal um die berühmte politische Philosophin, die nie eine Philosophin sein wollte.

An Arendts Hauptwerk „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ kommt niemand vorbei, der sich mit Politik oder Zeitgeschichte befasst. Ihre Biografie ist nicht nur intellektuell inspirierend. Sie bietet obendrein jenen Stoff, der mühelos das Kopfkino in Gang setzt. Was läge also näher, als nicht nur von der Denkerin, sondern auch von der Frau Hannah Arendt zu erzählen? Also jenem Muster treu zu bleiben, das von Trotta schon bei Rosa Luxemburg und Hildegard von Bingen gepflegt hat?

Während ihres Studiums beginnt die 1906 geborene Jüdin eine Affäre mit jenem Philosophen-Papst, der sich später den Nazis andient: Martin Heidegger. Dennoch kommt Arendt zeit ihres Lebens nicht von ihm los. 1933 emigriert sie nach Paris. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht flieht sie mit ihrem Mann Heinrich Blücher in die USA. Dort gilt es, sich unter all den anderen Emigranten ein neues Leben aufbauen. Mit besagter Totalitarismusstudie wird Arendt endgültig zur angesehenen Intellektuellen in jenem Land, das sie sich mühevoll erschließt.

Dieser Hintergrund, so zeigen viele Rückblenden, lässt sich schwerlich aussparen, wenn von Trotta den Fokus auf eine kurze, aber aufreibende Zeitspanne dieses Jahrhundertlebens richtet: den Eichmann-Prozess in Jerusalem. 1961 begleitet ihn Arendt im Auftrag des Magazins „The New Yorker“. Ihre Artikel erscheinen wenig später als Buch unter dem Titel „Die Banalität des Bösen“.
Schlagartig sieht sich die gefeierte Intellektuelle Anfeindungen ausgesetzt, die sie bis an ihr Lebensende verfolgen: Viele ihrer Freunde und Anhänger, nicht zuletzt jedoch große Teile der jüdischen Öffentlichkeit schäumen, weil sie jenen Mann, der die Züge in die Vernichtungslager rollen ließ, als harmlosen Bürokraten darstellt, dem die Juden nicht ohne eigenes Zutun ins Netz gegangen seien.

Überzeugungen wanken


„Denken ohne Geländer“ hieß Arendts Credo. Diese unbefangene, immer nach den Konsequenzen für das Zusammenleben unter Menschen fragende Geisteshaltung machte sie in den USA zu einer gefragten politischen Kommentatorin. Doch als sie sich dem Organisator des Holocausts  gegenübersieht, geraten viele ihrer Überzeugungen ins Wanken. Wie lässt sich Denken in Bilder übersetzen? Von Trotta und ihre amerikanische Co-Drehbuchautorin Paula Katz wählten eine Doppel-Strategie. Neun Jahre investierten sie in die Vorbereitung der Dreharbeiten, schöpften aus einem reichen Fundus aus Briefen und befragten Zeitzeugen. Daraus speist sich die behutsame Erzählung von den leidenschaftlichen Diskussionen, in die sich die streitbare Dozentin und Publizistin nicht zuletzt mit ihrem Gatten und ihrem Uni-Freund Hans Jonas stürzt.

Der elegant ausgebreitete Rahmen aus Begegnungen und Reibereien unter Menschen, die sich geistig und emotional nahe stehen, ist zugleich der Unterbau und die Bühne für das, was sich im Kopf der Hauptfigur abspielt. Immer wieder sehen wir Barbara Sukowa als Hannah Arendt auf ihrem New Yorker Sofa herumlümmeln: Kette rauchend und stoischen Blickes einen unsichtbaren Punkt verfolgend. Grübeln, nicht nur über das Psychogramm Eichmanns, als Schwerstarbeit, die einsam macht und doch nach Entladung vor Publikum sucht. Dieser packende Spagat, inszeniert als großes, aber sensibles Ensemble-Kino, führt meisterlich vor, wie sich eine abstrakte Gedankenwelt anschaulich nach außen kehren lässt, ohne die Dinge zu verflachen. Dahinter steckt ein nicht gerade alltägliches Durchhaltevermögen, das Respekt verdient.

Kaum Platz für andere


Dennoch hinterlässt der Film einen faden Beigeschmack. Das liegt mitnichten an Sukowa, die ihrer Figur in einem spannungsgeladenen Wechselspiel aus Leidenschaft und Zerbrechlichkeit eine besondere Individualität verleiht. Dass Axel Milberg als Ehemann Heinrich und Julia Jentsch alias Assistentin Lotte Köhler daneben fast untergehen, ist ärgerlich, aber wohl kaum zu vermeiden.

Fassungslos macht allerdings, wie wenig Wissen und Urteilskraft dem Publikum zugetraut wird. In bester Showdown-Inszenierung betritt Arendt/Sukowa den Hörsaal und breitet ihren Gedanken von der „Banalität des Bösen“ aus: eine Theorie, die heute in weiten Teilen als überholt gilt. Eichmann war nicht der unideologische Lakai, den er vor Gericht gab. In Wahrheit bedauerte er, nicht sämtliche 10,3 Millionen europäische Juden, die die Nazis im Visier hatten, ins Gas geschickt zu haben. „Ich war ein Idealist.“ So hatte er es dem rechtslastigen Publizisten Willem Sassen in Argentinien aufs Tonband gesprochen. Dieses Material war damals kaum bekannt, auch Arendt konnte darauf nicht zurückgreifen. Dennoch irritiert die fehlende Distanz gegenüber dem zentralen Dokument dieses Films.

Ebenso überrascht, dass sich die Regisseurin scheute, Eichmann vor Gericht durch einen Schauspieler ins Bild zu setzen. Sie hatte, so ist in Interviews zu lesen, befürchtet, die Zuschauer könnten sich einzig auf die Leistung des Darstellers konzentrieren. So bleiben einzig die altbekannten Originalszenen im Glaskasten. Würde Trotta mehr Mut zum Experiment besitzen, hätte sie die Korrespondentin und den Delinquenten einem, wenn auch imaginären, Duell, ausgesetzt. Mit dieser kleinmütigen Haltung erweist sie nicht nur Hannah Arendt, sondern auch der überragenden Barbara Sukowa einen Bärendienst.


Hannah Arendt (D 2012), Regie: Margarethe von Trotta, Buch: Pamela Katz, Margarethe von Trotta, mit Barbara Sukowa, Axel Milberg, Julia Jentsch, Michael Degen, Ulrich Noethen u.a.

Ab sofort im Kino


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