Kultur

Von Caligari zu Hitler: Die Krise als Kunst

Die 20er- Jahre waren die Blütezeit des deutschen Kinos. Der Dokumentarfilm „Von Caligari zu Hitler“ sucht darin nach Symptomen der aufziehenden Gewaltherrschaft.
von ohne Autor · 31. Mai 2015
Die Herrschaft der Gewalt in Fritz Langs „M – eine Stadt sucht einen Mörder“ scheint die Nazi-Schrecken vorwegzunehmen.
Die Herrschaft der Gewalt in Fritz Langs „M – eine Stadt sucht einen Mörder“ scheint die Nazi-Schrecken vorwegzunehmen.

„Das Kino der Weimarer Republik begann und endete in der Irrenanstalt“: So beschreibt der Regisseur und Autor Rüdiger  Suchsland den inhaltlichen Bogen. Ausgehend von Robert Wienes expressionistischem Stummfilm „Das Cabinet des Doctor Caligari“ (1920), beleuchtet er das bekannte und weniger bekannte Filmschaffen der Jahre kurz nach dem Ende des Ersten Weltkriegs bis zum Machtantritt der Nationalsozialisten. Den Schlusspunkt setzt Fritz Langs Kriminalfilm „Das Testament des Doktor Mabuse“ aus dem Jahr 1933. In beiden Klassikern geht es um die Macht der Manipulation und hypnotisch eingetrichterte Mordbefehle. Also um Motive, die das vielschichtige Gesicht des Bösen so wirkungsvoll wie kunstvoll umkreisen und die viele bis heute sofort auf der Liste haben, wenn vom deutschen Filmschaffen der 20er- und frühen 30er-Jahre die Rede ist. Suchsland, im Hauptberuf Filmkritiker und Journalist, geht in seiner Rückschau der Frage nach, ob die Macher dieser und anderer finsteren Dramen  bewusst oder unbewusst die Manipulation und die Herrschaft der Gewalt vorwegnahmen, die unter den Nazis zum Regierungsprogramm und Millionen von Menschen zum Verhängnis wurden – dass „Das Testament des Doktor Mabuse“  wegen all der politischen Anspielungen von den Nazis verboten wurde, spricht für sich. Untergang vorweggenommen

Suchsland, Jahrgang 1968, folgt dabei einigen zentralen Thesen des Filmtheoretikers und Soziologen Siegfried Kracauer (1889-1966). Dieser veröffentlichte in den 20er-Jahren zahlreiche und bis heute maßgebliche Beiträge zum Filmschaffen und zur  Massenkultur. Auf Kracauer geht auch der Titel des Films zurück. Dieser erzählt in seinem Buch  „Von Caligari zu Hitler – eine psychologische Geschichte des deutschen Films“,wie sich traumatische Erfahrungen des 1. Weltkriegs, Krisenangst und die Sehnsucht nach dem „starken Mann“ gerade in der ersten Hälfte der 20er-Jahre auf der Leinwand niederschlugen. Und damit auch davon, wie das Kino den Zusammenbruch der neuen und liberalen Ordnung in der jungen Demokratie vorwegnahm.

„Was weiß das Kino, was wir nicht wissen“, fragt Suchsland in seinem Erzähler-Kommentar. Er nimmt uns mit auf die Reise zu all den Mördern, Verführern, Tyrannen und Zauberern von Friedrich Wilhelm Murnaus „Nosferatu“ bis hin zu Marbuse, der in einer Reihe von Filmen auftrat – überhaupt nimmt das vieldeutige Oeuvre von Fritz Lang breiten Raum ein. Doch wir tauchen nicht nur tief hinab in die Filmgeschichte: Indem Suchsland Kracauers Überlegungen in der Kunst nachspürt, reisen die Zuschauer auch in ihr Innerstes. So ergibt sich immer wieder ein faszinierender Trip in diffuse sinnliche Welten zwischen Kunst und Psychologie.

Neue Sachlichkeit

Suchslands knapp zweistündiges Werk beschränkt sich indes keinesfalls darauf, Kracauers Standpunkte in Bilder zu übersetzen. Er führt vor, wie einseitig die Reduzierung das Bild ist, bis sich heute vom Film der Weimarer Republik gehalten hat. Schließlich wurde der vorherrschende Trend zu expressionistischen und schwärmerischen Erzählformen ab Mitte der Zwanziger von der Neuen Sachlichkeit in den Hintergrund gedrängt. Also von einer ästhetischen Haltung, die auch die Architektur und bildende Kunst jener Zeit prägte. Die klaren Formen erscheinen  hierbei als Ausdruck einer selbstbewussten Moderne, aber auch der trügerischen Überzeugung, die politische, moralische und wirtschaftliche Krise überwunden zu haben. Hinzu kommen Produktionen, die für einen ausdrucksstarken sozialen Realismus stehen. Etwa „Brüder“ von Werner Hochbaum aus dem Jahr 1929. Regisseur Fatih Akin, der sich neben seinem Kollegen Volker Schlöndorff und anderen Experten vor der Kamera äußert, spürt in der Studie über Hamburger Hafenabeiter und deren Familien gar die Durchschlagskraft der sowjetischen (Propaganda-)Vorbilder. Auch Musikfilme und Komödien wie „Die Drei von der Tankstelle“ oder „Ein blonder Traum“ kommen zum Zug.

So erhellend diese Achter- oder Geisterbahnfahrt durch die Filmhistorie auch ist: Ein für sich stehender Erzählfaden lässt sich mit dieser Fülle an Material kaum vereinbaren. So sind es oft die Filmausschnitte an sich, die dem Ganzen Dramaturgie und Struktur geben. Andererseits hätte Suchsland an einigen Stellen lieber die Filme für sich sprechen lassen sollen, anstatt seinen Kommentar einzubauen. Unabhängig davon ist es verdienstvoll, einige dieser Werke der Vergessenheit zu entreißen oder im Geiste von Kracauers Theorien häppchenweise neu zu entdecken. Und das macht Lust auf mehr. Auch wenn am Ende unklar bleibt, ob sich Phänomene wie Rassenwahn und Völkermord künstlerisch antizipieren lassen. Und ob das Kino mehr wissen kann als die, die es anlockt.


Info: Von Caligari zu Hitler (D 2014), ein Film von Rüdiger Suchsland, mit Fatih Akin, Volker Schlöndorff u.a., 118 Minuten. Ab sofort im Kino

0 Kommentare
Noch keine Kommentare