Kultur

Von aller Utopie befreit

von Gisela Sonnenburg · 19. September 2011
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So ist es eine gute Wahl, daß der Film- und Theaterregisseur Leander Haußmann, aus einer Schauspielerfamilie stammend, sich Ibsen vornahm, um sein Bühnen-Revival zu begehen. Denn acht Jahre war Haußmann "theaterabstinent". Da muß man ihm nachsehen, wenn nicht alles so klappt, wie man es vom Meister des Absurd-Witzigen gewohnt ist.

Die gravierendste Fehlentscheidung: die eigene junge Lebensgefährtin völlig unkritisch ins Salon-Ambiente der Bel Epoque zu setzen. Hilflos rattert Annika Kuhl als aufsteigende Mätresse eines Ex-Pfarrers ihre Textmassen runter. Auch die Dramaturgie (Carola Cohen-Friedlaender) versagte: Keine solide Strichfassung, wie üblich, erwartet uns, sondern es sind dreieinhalb Stunden Gerede nötig, um Ibsens "Rosmersholm" zu servieren.

Der Titel bezeichnet den Handlungsort, ein Landgut. Es gehört Rosmer, dem Ex-Pfarrer. Peter Lohmeyer versucht in seiner Rolle eine gewisse Präzision - aber er schwimmt sich nicht frei. Die sonst tolle Margit Carstensen als Wirtschafterin schafft es auch nicht, aus Sprechstörungen, die die Regie für emotionale Höhepunkte vorgibt, richtige Kunst zu machen.

Aber in den Nebenrollen blüht das Sehenswerte. Vor allem Ralf Dittrich als rechtskonservativer Diskutant zeigt alles, was ein erfahrener, blitzgescheiter Schauspieler aufzubringen vermag. Schon wegen ihm lohnt der Abend: Man hört seine geschmeidige, sich einschmeichelnde Stimme und haßt ihn gern. Denn genau so ist es, wenn der Feind der Freiheit rechts steht.

Von aller Utopie befreit spielt Lohmeyer die in sich zerrissene Hauptrolle, den anarchisch angehauchten Abtrünnigen vom Bürgertum. Dabei ist dieser Part als Selbstportrait Ibsens zu verstehen. In langatmigen Gesprächen zwischen Polstersesseln und Gladiolen schält sich Schuld der Vergangenheit hervor: Rosmers tote Frau brachte sich um, weil Rebekka ihr vorgaukelte, sie sei vom Hausherrn geschwängert.

Dieser verzeiht ihr das nicht ganz überraschend, stapft Hand in Hand mit der gerissenen "Vollschlampe" in ein neues, sinnenfreudiges Glück. Das ist der stärkste Eingriff Haußmanns ins Original: Bei Ibsen folgen die zwei der Hausherrin in den Freitod. Das neue Ende aktualisiert richtig: Das Problem heute ist nicht mehr zu viel, sondern zu wenig Moral.

Ansonsten beschränkt sich die Regie auf Tricks. Da wird ein Schrank als Zimmertür benutzt, aufs Polster gepisst, von Blumenduft gesprochen, obwohl die Gladiolen unecht sind. Regietheater mal anders, die Schauspieler eher unter- als überfordert. Dennoch entstand eine sehenswerte Neuinterpretation: Hedonismus statt Utopie hat eine Traurigkeit, die es sonst nur im Fastfood-Restaurant gibt.


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