Kultur

Vom Unrecht des chinesischen Rechtssystems

von Dagmar Günther · 12. November 2007

Gleich zu Beginn des Buches konfrontiert die Autorin den Leser mit zwei schrecklichen Erlebnissen in ihrem Leben: der öffentlichen Hinrichtung eines Angeklagten sowie ihren als Kind durch den Vater erlittenen Züchtigungen. Beide Szenen schockieren. Und sie zeigen deutlich: Noch ist Xiao Opfer, eine mitfühlende junge Frau.



Vom Opfer zur Täterin


Doch der Karriere wegen wird die anfangs idealistische und für Gerechtigkeit kämpfende Staatsanwältin alsbald selbst zur Täterin. Das Erhalten von Bestechungsgeldern sowie massive psychische und physische Gewalt gegenüber Angeklagten werden zur allseits anerkannten, ja sogar geforderten Routine. Xiao erkennt: "Man darf keine Angst haben, brutale Methoden anzuwenden. … Unsere Gesellschaft glaubt nicht an Tränen, sondern nur an Macht."

Rundcrantz zeigt so deutlich die Defizite des chinesischen Rechtssystems: Urteile stehen bereits vor dem Prozess fest und werden vor allem vom politischen Willen der Partei und der Willkür des Oberstaatsanwalts bestimmt. Ziel des Staatsanwaltes ist nicht die Wahrheit sondern das Geständnis - mit allen Mitteln. Wer hingegen über Macht, Geld und Beziehungen verfügt, kann einer harten Strafe leicht entgehen.

Entscheidung für die Menschlichkeit

Seit 1998 lebt Xiao Rundcrantz in Schweden. Sie arbeitet dort als Autorin und Übersetzerin. Wenige Jahre zuvor war ihr Weltbild entscheidend ins Wanken geraten: ausgelöst von ihrer Liebe zu einem Deutschen. Lange Zeit verschüttete Eigenschaften und Sehnsüchte der jungen Frau traten ans Tageslicht: Mitgefühl, Menschlichkeit und die Lust am Leben - Empfindungen, die im Leben einer chinesischen Staatsanwältin keinen Platz zu haben hatten! Der plötzliche Tod ihres Geliebten und die Abtreibung des gemeinsamen Kindes stürzten Xiao in eine tiefe Krise.

Aus der Liebe zu ihrem späteren Ehemann Ola zog sie neue Kraft und die Konsequenzen: "Um wieder ein Mensch zu werden, der seinem Gewissen Respekt erwies, ein Mensch aus Fleisch und Blut, der offen Freude und Leid, Zorn und Glück zeigen konnte, musste ich meinem Heimatland und meiner Muttersprache, meinen Freunden und Verwandten den Rücken kehren. Ich musste wieder bei Null beginnen."

Korruption und Machtmissbrauch

Mit ihrer packenden Lebensgeschichte gibt Xiao Rundcrantz hautnah Einblick in die Mechanismen einer von Korruption, Willkür und Gewalt bestimmten Gesellschaft. Sie entlarvt ein juristisches System, das nicht im Mindesten demokratischen Vorstellungen eines Rechtsstaates folgt. Ein System, das sie zur Täterin machte und dem sie nur durch glückliche Umstände, den Kontakt zu westlichen Werten, Beziehungen und vor allem den Mut zum Neuanfang entrinnen kann.

Tobias Quast

Xiao Rundcrantz: Rote Staatsanwältin. Meine Entscheidung gegen Korruption und Machtmissbrauch in China; Herder, Freiburg, 2007; 19,90 Euro; ISBN 978-3-451-29457-0

Big Brother is Watching You!

Schon George Orwell zeichnete im Jahr 1949 mit seinem Roman "1984" die düstere Zukunft eines Überwachungsstaates. Knapp 60 Jahre später weist der Titel von Peter Schaars Buch "Das Ende der Privatsphäre. Der Weg in die Überwachungsgesellschaft" in dieselbe Richtung. Doch was sich damals als erschreckende Utopie las, scheint heute realistischer denn je!

Der technologische Fortschritt löst eine gewaltige Datenflut aus!

Man könne zwar nicht von einem Überwachungsstaat im Orwellschen Sinne sprechen, beschwichtigt Schaar bei der gemeinsamen Präsentation seines Buches mit Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) am 9. Oktober 2007 in der Berliner Bertelsmann-Kommandantur, dennoch verändere sich die Gesellschaft in einer Weise, die Überwachung wesentlich erleichtere. Schaar, seit 2003 Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, meint damit vor allem die rasante Entwicklung der Informationstechnologien. Unbewusst hinterließen wir heute in unserem Alltag eine Unmenge digitaler Spuren, sei es durch E-Mails, im Internet, beim Telefonieren oder durch Überwachungskameras. Der zunehmenden Unbekümmertheit vieler Menschen, ihre persönlichen Daten preiszugeben, stünden wachsende Begehrlichkeiten von Seiten des Staates und der Wirtschaft gegenüber: Unternehmen wie "ebay" oder "amazon" legten persönliche Datenprofile ihrer Kunden an, um ihre Produkte und Dienstleistungen zielgerechter an den Mann und die Frau bringen zu können. Staatliche Organe trachteten insbesondere nach den Anschlägen vom 11. September 2001 mit dem Argument der Terrorbekämpfung nach neuen Möglichkeiten der Überwachung der Bürger.

Neue Gefahren für Freiheit und Privatsphäre

Schaar warnt deshalb vor der Tendenz, den Einzelnen als Risikofaktor zu betrachten, der beobachtet, registriert und bewertet werden muss. In der stetig zunehmenden Datenflut erkennt er zugleich ein wachsendes Missbrauchspotenzial. Durch Vorratsdatenspeicherung, Online-Durchsuchungen, Rasterfahndung und den Handel mit persönlichen Daten sieht der Bundesbeauftragte für den Datenschutz sowohl die Unschuldsvermutung, als auch die Privatsphäre in Gefahr. "Manche Kontrollmaßnahmen bringen nicht mehr Sicherheit, sondern schränken nur die Freiheit ein", wirft Schaar dem Innenminister vor. Der entgegnet, dass sich der Staat im Kampf gegen Kriminalität und Terror aber auch nicht blind machen dürfe. Der Zugriff auf gewisse persönliche Daten sei nun einmal für die Erfüllung staatlicher Aufgaben notwendig. Anders als Schaar sieht er die Lösung des Problems deshalb auch nicht darin, die Entstehung solch gewaltiger Datenmengen zu vermeiden, sondern setzt vielmehr auf Schutzmaßnahmen, um deren Missbrauch zu verhindern.

Kampf gegen Windmühlen

Zustimmung erhält Schaar dennoch zumindest in einem Punkt: "Das Buch leistet einen wichtigen Beitrag zur Bildung eines Problembewusstseins in der Gesellschaft", gesteht Schäuble zu. Dem ist sicher uneingeschränkt zuzustimmen, denn die Sensibilisierung der Bevölkerung ist ein zentrales Element in Schaars Strategie zur Vermeidung der Überwachungsgesellschaft. Verantwortung statt Kontrolle lautet deshalb das einleuchtende Motto von Schaars überzeugendem Plädoyer für eine globale Ethik im Informationszeitalter. Ob die Strahlkraft seines Amtes und die öffentliche Wirkung seiner Bücher jedoch entscheidend dazu beitragen können, die von ihm befürchtete weitere Einschränkung der Privatsphäre zu verhindern, mag bezweifelt werden. - Die Zukunft wird es zeigen!

Tobias Quast

Peter Schaar: Das Ende der Privatsphäre. Der Weg in die Überwachungsgesellschaft; C. Bertelsmann Verlag, München, 2007; 14,95 Euro; ISBN 978-3-570-00993-2

Autor*in
Dagmar Günther

war bis Juni 2022 Chefin vom Dienst des vorwärts.

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