Kultur

Vom schönen Schein

von Birgit Güll · 11. September 2009
placeholder

Alex und Sonja sind ein Traumpaar, wie Hochglanzmagazine und Hollywoodfilme es schaffen: Sie sind jung, schön und erfolgreich - eine perfekt glänzende Oberfläche. Doch kein Licht ohne Schatten und so stellt Peter Stamm ein Zitat von Le Corbusier an den Anfang seines Romans: "Lichter und Schatten enthüllen die Formen". Denn da ist auch Iwona, die illegal in Deutschland lebende Polin. Sie ist hässlich, uninteressant und ungebildet - und doch kommt Alex nicht von ihr los.

Lichtdurchfluchtete Konstruktion

Beim Architekturstudium haben Alex und Sonja einander getroffen. Bald sind die beiden ein Paar. Zu diesem Zeitpunkt kennt der Ich-Erzähler Alex Iwona bereits: Eine Nacht hat er mit ihr verbracht. Die beiden haben nicht miteinander geschlafen - das ließ die gläubige Katholikin nicht zu. Doch am nächsten Morgen hat sie ihm ihre Liebe erklärt. "Es klang nicht wie eine Liebeserklärung, eher wie eine Feststellung, an der nicht zu rütteln ist." Alex nutzt seine Machtposition aus, doch er muss bald erkennen, dass Iwona auch Macht über ihn hat - eine unerklärliche allerdings: "Ihre bedingungslose Liebe, so zufällig sie zu sein schien, zog mich unwiderstehlich an und stieß mich, kaum hatte ich mich befriedigt, wieder ab."

Als der entscheidungsschwache Alex Sonja, die perfekte Schönheit aus großbürgerlichem Haus, heiratet, hört er auf, Iwona zu sehen. Unermüdlich arbeitet das junge Ehepaar am gemeinsamen Leben: ein eigenes Architekturbüro, ein Einfamilienhaus und ein Kind. Letzteres will sich nicht einstellen, doch der Rest klappt. Zwar ist das erträumte lichtdurchflutete Haus nur ein spießbürgerliches Eigenheim in einem Münchner Vorort, das Büro bedeutet mehr Arbeit als gut tut, und das Verhältnis der Ehepartner ist eher freundschaftlich als leidenschaftlich, doch so schnell wird die mühevoll konstruierte Beziehung nicht aufgegeben.

Schattige Parallelwelten

Iwona lebt in einer Parallelwelt. Sie ist immer noch illegal im Land und hält sich als Putzfrau über Wasser, als Alex sie sieben Jahre nach seiner Heirat wieder trifft. Sie hat festgehalten an ihrer bedingungslosen Liebe, er verfällt ihr ein weiteres Mal. Während er sich in seiner gesitteten Partnerschaft unter Druck gesetzt sieht, fühlt Alex sich bei Iwona frei. Der polnischen Putzfrau gibt er Geld für Sex - nicht weil sie es verlangt, sondern weil es ihm eine scheinbare Machtposition gibt. Er ergötzt sich an ihrer Armseligkeit. Die eigene Erbärmlichkeit sieht er nicht.

Letztlich erwartet nicht Sonja, sondern Iwona ein Kind von Alex. Doch weil alles so hübsch zivilisiert ist, wird das Kind über eine Adoption auf die gutbürgerliche Sonnenseite des Lebens geholt. Es wächst bei Alex und Sonja auf - was hätte ihm eine polnische Putzfrau als Mutter auch zu bieten? Einmal mehr scheint eine wunderbare Konstruktion gelungen. Bis das Architekturbüro sechs Jahre später von der Immobilienkrise gebeutelt wird. Alex versinkt in einem Strudel aus Selbstmitleid und Alkohol und so ist es - einmal mehr - Sonja, die die Situation rettet.

Offene Fragen

Der Protagonist wähnt sich an einem sicheren Punkt seines Lebens als er Antje, einer Freundin, die Geschichte erzählt. Noch weiß er nicht, dass Sonja ihn verlassen wird. Antje, die dritte Frau im Roman, ist die einzige, die selbst eine Stimme bekommt, die urteilt und höhnt. Ein Kunstgriff, der Peter Stamm gelungen ist. Er verzichtet darauf, als auktorialer Erzähler die Gefühle Sonjas und Iwonas mitzuteilen. Vielmehr lässt er Alex einzig und allein aus seiner - höchst beschränkten - Perspektive berichten, was dem Buch eine enorme Qualität verleiht. Vor allem aber umgeht Stamm die unselige Dichotomie von Heiliger und Hure, die Dreiecksgeschichten so oft eigen ist.

Scheinbar mühelos nähert sich der Autor den Fragen, was Liebe ist und was sie kann. Ist Iwona mit ihrer bedingungslosen Liebe reicher als das spießbürgerliche Paar mit seiner Konstruktion einer Beziehung? Ist es erfüllender zu lieben oder geliebt zu werden? Es ist Stamms große Kunst sich mit derartigen Gedanken zu befassen ohne auch nur eine Sekunde lang pathetisch zu werden. In einer klaren Sprache wirft er Fragen auf, ohne sie zu stellen. Und - auch das zeichnet den Schweizer Schriftsteller aus - er gibt keine Antworten. Vielmehr lässt er den Leser am Ende allein mit einer Reflexion, die er tief bereichert hat.

Ganz nebenbei erzählt Stamm auf den knapp300 Buchseiten des Romans "Sieben Jahre" auch noch von unserer Leistungsgesellschaft. Von Wirtschaftskrisen und von Leuten, die sich verzweifelt über Wasser halten, während andere schon der Verlust ihres Luxusautos aus der Bahn wirft. Er spricht von einer Klassengesellschaft und von jenen, für die es in der schönen neuen Arbeitswelt keinen Platz gibt. Damit widmet Stamm sich, in seiner einzigartig unaufdringlichen Weise, völlig unaufgeregt, dafür umso eindringlicher abermals den Schattenseiten des schönen Scheins.

Birgit Güll


Peter Stamm: "Sieben Jahre", S. Fischer Verlag, München, 2009, 298 Seiten, 18,95 Euro, ISBN 978-3-10-075126-3

Hier bestellen...






Autor*in
Birgit Güll

ist Redakteurin, die für den „vorwärts“ über Kultur berichtet.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare