Kultur

Vom rasenden Reporter

von Die Redaktion · 7. April 2008

Egon Erwin Kisch ist vor allem mit seinen Reportagen weltweit bekannt geworden. Die zeichneten sich durch Unmittelbarkeit des Erzählens, direktes Vor-Ort-Sein, Authentizität bis ins kleinste Detail und ihren besonderen Erzählstil aus. In der im Aufbau-Verlag von Ilija Trojanow jetzt neu zusammengestellten Ausgabe von Geschichten und Reportagen kann nach verfolgt werden, wie sich Leben und Schreiben des Reporters entwickelten. Der Titel seiner 1925 erschienenen Reportagensammlung "Der rasende Reporter" wurde bald für ihn selbst zum Synonym.

Prozesshaftes Schreiben

Am 29. April 1885 als Sohn eines Tuchhändlers in Prag geboren besuchte Kisch die deutsche Realschule, die Technische Hochschule und schließlich eine Journalistenschule in Berlin. Schon 1905 hatte er am "Prager Tageblatt" ein Volontariat absolviert. 1096 bis 1913 folgte die Zeit als Lokalreporter für die erste deutschsprachige Tageszeitung "Bohemia". Er verfasste Reportagen, Feuilletons und Geschichten, die 1908 bzw. 1913 in den Büchern "Aus Prager Gassen und Nächten" und "Prager Kinder" veröffentlicht wurden.

Der Journalist war als Soldat der k.u.k. Armee im Ersten Weltkrieg, er war Offizier im Wiener Kriegspressequartier, war Mitglied des Arbeiterrates und 1918 erster Kommandant der Roten Garden in Wien. Ab 1921 lebte er in Berlin und startete von da aus zu Reisen nach Amerika, China, Australien, die ihn zum weltweit bekannten "Rasenden Reporter" werden ließen. Haft in der Festung Spandau nach dem Reichstagsbrand, Abschiebung nach Prag, Exil in Paris, den USA; Mexiko, Rückkehr nach Prag 1946 (wo er 1948 starb), das waren die letzten Stationen seines Lebens. Die Zeit in Mexiko war Grundlage für das Entstehen des Buchs "Marktplatz der Sensationen".

Zu notieren, was ihm geschah und wie dies seine Sicht auf die Welt veränderte, bestimmte sein Leben. Es ließ sein Schreiben zu Literatur von Weltrang werden. Alles musste stimmen. Nichts wurde verklärt zur letzten Weisheit. Leser konnten und können mit vollziehen, wie Kischs Erleben ihn zu seiner Weltsicht kommen ließ. Das wird bereits in der ersten Geschichte des Aufbau-Bandes deutlich, in der nachzulesen ist, wie der Soldat Kisch den Ersten Weltkrieg erlebte und wie er später mit den Notizen aus dieser Zeit umging.



Fluss des Verstehens


Er war versucht zu ändern, dieses und jenes hinzuzufügen, stellte aber fest, dass dies nicht dem damaligen Kisch entsprochen hätte und den Fluss des Verstehens gestört hätte. Das blieb sein Prinzip. Nicht behaupten, etwas gewusst zu haben, was er in der betreffenden Zeit aus seiner damaligen historischen Perspektive heraus noch nicht erfasst hatte, noch nicht erfasst haben konnte. Gerade dadurch war es ihm möglich, sich selbst zu positionieren und seiner Leserschaft Positionen nicht aufzudrängen, sondern verständlich zu machen. Die tiefe Ehrlichkeit dieser Texte ist bestechend.

Dorle Gelbhaar

Egon Erwin Kisch "Die schönste Geschichten und Reportagen", Herausgegebenen und mit einem Nachwort versehen von Ilija Trojanow, Aufbau Verlagsgruppe GmbH, Berlin 2008, 309 Seiten, 16,95 Euro, ISBN 978-3351-03229-6

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