Kultur

Vom Gang-Mitglied zum Streetworker

von Edda Neumann · 15. Oktober 2008
placeholder

Fadi Saad hat erst kürzlich sein Buch "Der große Bruder von Neukölln" im Gemeinschaftshaus in der Neuköllner Morusstraße präsentiert. Der Einladung zur Buchpremiere sind viele Interessierte gefolgt. Das kunterbunte Publikum allein ist schon ein Beweis für funktionierende kulturübergreifende Verständigung: Lehrer, Sozialarbeiter, deutsche und arabische Familien mit Kindern und selbst Polizisten, die im Kiez auf Streife gehen, sind gekommen. Wohl am wichtigsten für Fadi Saad ist die Anwesendheit seiner Familie, die ihm über die Zeit hinweg Rückhalt und Unterstützung geboten hat.

Fadi Saad wurde als Sohn einer palästinensischen Flüchtlingsfamilie in Berlin Wedding geboren. Schon in seiner Kindheit fühlte er sich größtenteils als Außenseiter. Orientierungslosigkeit und das Gefühl des Fremdseins sind Erfahrungen, die insbesondere Migrantenkinder hierzulande machen.
Diese Erlebnisse kommen Fadi Saad heute im Umgang mit den Jugendlichen zu Gute. Als Ex Gang-Mitglied findet er leichteren Zugang zu den Jugendlichen, spricht ihre Sprache und kann ihre Denkweise sehr gut nachvollziehen.

Vorbild sein

Für Prof. Dr. Maria Böhmer, Staatsministerin im Bundeskanzleramt und Beauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration, ist Fadi Saad ein Vorbild. Die Grundbotschaft des Buches laute, man sei selber gefordert. Es soll anderen Jugendlichen Mut machen, so Böhmer.

Auch Seyran Ates erkennt den Vorbildcharakter des Buches. Dabei geizt die Frauenrechtlerin nicht mit Lob für den jungen Autor. Sie sei glücklich und stolz auf das Buch. Es werde eine große Rolle in der Integrationsdebatte spielen. Die Offenheit und Ehrlichkeit, mit der Fadi Saad über seine Vergangenheit schreibt, seien sehr mutig, betont Ates.

In "Der große Bruder" beschreibt Fadi Saad seine Erfahrungen als Deutscher mit arabischer Abstammung. Seine kriminelle Karriere war Folge von Hass und fehlender Anerkennung. Als Gang-Mitglied zog er durch Berlin. Er schreckte auch vor Gewalt nicht zurück. Wegen Beleidigung, Nötigung und Körperverletzung landete er schließlich im Jugendarrest. Dieser Freiheitsentzug war für Fadi Saad so prägend, dass er sein Leben komplett veränderte. Er sagte sich von seiner Gang los. Seine neue Energie verwendete er fortan darauf, Jugendlichen in ähnlichen Schieflagen zu helfen. Als "Quartiersmanager" - eine Mischung aus Sozialarbeiter, Streetworker und Stadtplaner - ist er nun wirklich der "großer Bruder" von Neukölln und für seine Jugendlichen ein Vorbild.

Gleiche Augenhöhe

Viele fragen sich, wie Fadi Saad den Ausstieg geschafft hat. Sein Motto ist bis heute: aus eigener Willenskraft etwas verändern und aus Fehlern lernen. Natürlich muss die Möglichkeit für eine "zweite Chance" bestehen, um sich bewähren zu können. Heute bezeichnet sich Fadi Saad als "Deuraber" mit zwei Identitäten - einer deutschen und einer arabischen. Diese beiden Welten in Einklang zu bringen, versucht er seinen Jugendlichen zu vermitteln. Fadi Saad lehrt sie, auf sich selbst stolz zu sein. Für ihn ist dabei sehr wichtig, dass dies auf gleicher Augenhöhe geschieht. Denn er kann nur soviel Respekt von den Jugendlichen erwarten, wie er ihnen selbst entgegen bringt. Aufklärung über die kulturellen Unterschiede zählt genauso dazu wie Zusammenarbeit mit Lehrern und Eltern. Das fördert den Austausch und die Vernetzung untereinander.

Das Beispiel Fadi Saad zeigt, wie Integration gelingen kann. Sein früheres Leben verlief ähnlich, wie das vieler Jugendlicher mit Migrationshintergrund. Aus eigenem Antrieb hat er diesen Teufelskreis von Hoffnungslosigkeit, Gewalt und sozialem Abstieg jedoch durchbrochen.

Das Buch ist lebensbejahend. Es spricht ganz sicher vielen "Problemkids" aus der Seele. Dennoch bleibt die Frage, ob sie es je lesen werden. Denn - wie Fadi Saad selbst zugibt - stand früher bei ihm Zuhause kein einziges Buch.

Fadi Saad: Der große Bruder von Neukölln, Ich war einer von Ihnen - Vom Gang-Mitglied zum Streetworker, Herder Verlag 2008, 174 Seiten, 12,95 Euro, ISBN-13: 978-3451030000.


0 Kommentare
Noch keine Kommentare