Kultur

Vom deutschen Hüben und Drüben

von Die Redaktion · 28. November 2005

Nur mit einem grünen Leinenrucksack für das Notwendigste auf dem Rücken meandriert der Autor - streng nach Zeitplan - entlang des einstigen Todesstreifens. Er besucht Orte im ehemaligen Westen, dem einstigen Zonenrandgebiet und Dörfer im Osten, im ehemaligen Sperrgebiet. Auf beiden Seiten trifft Scherzer auf Gewinner und Verlierer der Einheit.

Wird im Osten die Abwanderung von jungen Leuten nach Bayern beklagt, so finden es Bayern wiederum ärgerlich, wenn heimische Unternehmer wegen der Ost-Förderung nach "Drüben" gehen. Und wenn in einem Westbetrieb Ossis in der Mehrzahl sind, reden sie schnell mal von der eigenen "Brigade", wie die Arbeitskollektive in der DDR offiziell hießen.

Durch Zufall trifft der Wanderer bei Sonneberg einen Mann, der von 1981 - 1990 an der Grenze diente. Hatte er während seiner Grenzwacht Gedanken an die Einheit? Nein, denn im Frühjahr `89 seien drüben an der Grenze noch neue Lampen montiert worden. Taghell sind die Nächte danach gewesen. Den Dienstrang erfährt der Wanderer nicht.

Laufen unter freiem Himmel kann auch Angst machen. Das erfährt Scherzer als ihn eine Gewitterfront in der Rhön überrascht. Wie bei wechselndem Aprilwetter gerät der Leser in einen Gefühlstaumel, wenn er mit dem Autor auf immer neue Typen des Grenzlandes trifft: Pilzsammler, Hobbymaler, Wirtsleute, Imker, Beerenpflücker, Waldameisenschützer, Pfarrer, Lehrer, Rennsteigtouristen, Fischverkäufer, Bauern .....

Doch dann kommt mitten im waldreichen Herzen Deutschlands doch noch die Globalisierung. Der Niedergang der Schnitzer des ehemaligen VEB - Rhönkunst ist dafür ein typisches Beispiel. Sowohl den Helden der Arbeit Adolf Hennecke als auch Christus haben diese Könner der Holzplastik aus Bäumen geschält. Doch nach der Wende, schimpfen die Bergkünstler, kamen die Chinesen mit Billigprodukten. Pleite ging die stolze Rhönkunst. Ebenso erlag der Stolz des DDR- Modellbahnenbaus PIKO dem Konkurrenten aus dem Westen.

Dann, schon ziemlich am Ende seines Weges, wird Scherzer in ein 5-Minuten-Gespräch mit einem Autohändler im hessischen Dippach verwickelt. Ach, war das herrlich nach der Wende als wir den Ossis jedes Auto verkaufen konnten, schwärmt der Händler von vergangenen Zeiten. Jetzt sind die von drüben so wie wir. Geld gibt's auf keiner Seite. Landolf Scherzer hat das Buch vom deutschen Hüben und Drüben geschrieben.

Landolf Scherzer: Der Grenzgänger, Aufbau Verlag, Berlin 2005, 394 Seiten, 19.90 Euro, ISBN 335102603X

Thomas Grimm

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