Um 18 Uhr wurde vor der Deutschen Oper Berlin der rote Teppich für die Gäste vom Alvin Ailey American Dance Theater (AAADT) aus New York ausgerollt. In der Urlaubszeit übrig gebliebene Prominente - von der Aktrice Meret Becker bis zum Merkel-Frisör Udo Walz, von Dauer-Playboy Rolf Eden bis zum schwulen Filmregisseur Rosa von Praunheim - hatten sich angesagt. Nebst einigen CDU-Politikern.
Das zuständige Pressemanagement ( ZOOM Medienfabrik i.A. von bb promotion ), namentlich sein Geschäftsführer Felix Neunzerling, passte sich dem ausgesprochen schlecht an: Die "Klatschlästermäuler" der Regenbogenpresse wurden bevorzugt, seriöse Fachinterviews trotz vorheriger Zusage von bb "vergessen". Darum gibt es hier leider kein Statement von Robert Battle, dem aktuellen künstlerischen Leiter des amerikanischen Starensembles.
Quote statt Kunst
Der Stil des Programms, mit dem jetzt die Deutschlandtournee läuft, lautet ohnehin: Quote statt Kunst. Insofern wären auch schönste Battle-Sprüche nicht glaubwürdig. Trotz des guten Rufs,
den das AAADT noch genießt (sie sei eine "unaufhaltsame Naturgewalt", meinte die New York Times mal), driftet die Truppe ab: ins Kommerzielle, Brave, Domestizierte. Ihre Darbietungen sind
derart geglättet und auf Mainstream getrimmt, dass sie wie mit Zuckerguss verkleistert und nurmehr Entertainment sind; es ist fast überraschend, dass Tanz derart oberflächlich sein kann. Show
ohne Sinn.
Zur Vorgeschichte: 1958 gründete der Tänzer und Choreograph Alvin Ailey seine Compagnie, um der Welt zu zeigen, dass afro-amerikanische Ballett- und Tanzkultur möglich und nötig ist. Das
Unternehmen wurde ein Erfolg: Das heute 30-köpfige Ensemble, fast nur aus schwarzhäutigen Damen und Herren bestehend, beschwört die Kraft des Ursprünglichen in Verbindung mit einer modernen
Formensprache.
Das berühmteste Stück von Ailey ist auf der Tournee dabei: "Revelations" (Enthüllungen) besteht aus furiosen Einzelstücken, die von der Geschichte Amerikas aus Sicht der
Schwarzen erzählen. Da ist Power drin, etwa in wilden Pirouetten und schnellen Sprüngen, die von sozialer Revolution und Auflehnung künden. Südstaaten-Stimmung kommt auf, Frauen mit Sommerhüten
tanzen sie, eine rosarote Kulisse leuchtet - und Bewegungen, die an Feldarbeit und Sklavenbefreiung erinnern, verströmen Broadway-Flair.
Allerdings überzeugt die dazu dröhnende Gospel-Musik nur noch in historischer Hinsicht: Wenn alle Kraft aus der Religion rühren soll, wundert nicht, dass der Rassismus nur teilweise
überwunden wird. Mit aktuellen Problemen in den USA oder auch sonst in der Welt hat das neue AAADT ohnehin nix zu tun: Die jüngeren Stücke sind völlig unpolitisch. Ein bisschen Liebe, ein
bisschen Schamanentum, ein bisschen HipHop und viel Technosound mit pseudomodernem Gehüpfe - mehr ist da nicht. Dabei ist die Brillanz der Tänzer individuell verschieden; in weiten Teilen kommt
der Abend über das Niveau von beliebigem Vorstadtzirkus nicht hinaus.
Bis 17.7. in der Deutschen Oper Berlin; 2.8. bis 14.8. in der Kölner Philharmonie; 16.8. bis 21.8. in der Alten Oper in Frankfurt am Main; 23.8. bis 28.8. in der Hamburgischen Staatsoper.