Kultur

„Verteidiger des Glaubens“: Der deutsche Papst als tragische Figur

Er begann als geistlicher Erneuerer, doch am Ende blieben vor allem Skandale. Der Dokumentarfilm „Verteidiger des Glaubens“ erzählt vom Scheitern Joseph Ratzingers als Papst Benedikt XVI.
von ohne Autor · 2. November 2019
Der Vatikan als Trutzburg, auch das ist ein Werk Ratzingers wie im Film „Verteidiger des Glaubens“ deutlich wird.
Der Vatikan als Trutzburg, auch das ist ein Werk Ratzingers wie im Film „Verteidiger des Glaubens“ deutlich wird.

Als Joseph Aloisius Ratzinger alias Benedikt XVI. am 19. April 2005 auf dem Petersplatz in Rom von der Menge gefeiert wurde, wähnte er sich möglicherweise am Ziel. Endlich flogen dem vormaligen Präfekt der Glaubenskongregation der Katholischen Kirche  –  böse Zungen nannten ihn Chef-Inquisitor – die Herzen von Millionen von Menschen zu. Ihm, der die Kirche stets als seine Familie betrachtete und gegen Angriffe von außen verteidigte. Wenige Jahre später erschütterten Skandale um Missbrauch und Korruption die größte Kirche innerhalb des Christentums. Als der Pontifex im Februar 2013 von seinem Amt zurücktrat, war von der breiten Sympathie, die 2005 in der „Bild“-Schlagzeile „Wir sind Papst“ gipfelte, nicht mehr viel übrig.

Chronik des Scheiterns

„Verteidiger des Glaubens“ ist kein klassisches Biopic über das erste deutsche Oberhaupt der lateinischen Christenheit seit gut 500 Jahren. Der deutsch-britische Regisseur Christoph Röhl („Kaisersturz“) erzählt eine Chronik des Scheiterns. Des Scheiterns eines Menschen, der Anfang der 60er-Jahre zu Zeiten des Zweiten Vatikanischen Konzils als vergleichsweise progressiver Theologe die Kirche erneuern wollte und nach dem Schock der 68er-Revolte zum konservativen Glaubenshüter wurde. Der in seiner Aufopferung für die Kirche auch nach Liebe und Anerkennung suchte und dennoch ein autoritäres System perfektionierte, das auf Gehorsam basierte und Verrat sowie Demütigungen begünstigte. Der von vielen Missständen wusste und doch meistens die Hände in den Schoß gelegt hat. Der am Ende möglicherweise einer Lebenslüge aufgesessen ist.

Dieses Bild formt sich nicht etwa aus Selbstzeugnissen des mittlerweile 92-Jährigen. Es mag naheliegen, dass sich Ratzinger, der einst den Vorzug päpstlicher Unfehlbarkeit genoss, für diesen wenig schmeichelhaften, aber immerhin sehr nüchtern aufbereiteten Film nicht vor der Kamera befragen ließ. Die Grundlage bilden behutsam zusammenmontierte Ausschnitte aus Gesprächen mit Menschen, die Ratzingers Weg in Wissenschaft und Amtskirche kreuzten und von den erwähnten Konfliktlinien aus einer persönlichen Perspektive berichten. Diese Sequenzen werden unter anderem durch Aufnahmen aus dem Vatikanarchiv angereichert. So ergibt sich ein Nebeneinander des „öffentlichen“ und des „privaten“ Papstes, wobei die eigentliche Kommentierung den Interviewpartnern zufällt.

Vertrauter warnte vor Kinobesuch

Der Ausgewogenheit halber kommt auch Georg Gänswein, der Privatsekretär des Ex-Kirchenvaters, ausführlich zu Wort. Rhetorisch brillant zeichnet der Kurienerzbischof, seit den 90er-Jahren ebenfalls in der Glaubenskongregation tätig, ein „positives“ Ratzinger-Bild, sodass man sich fragt, inwiefern Gänswein das öffentliche Bild Benedikts XVI. schon während dessen Amtszeit geprägt hat. Es spricht für sich, dass der engste Vertraute Ratzingers den Film kürzlich als Desaster bezeichnete und vor einem Kinobesuch gewarnt hat.

Im Mittelpunkt der Dokumentation steht die „dunkle“ Seite des von Ratzinger maßgeblich geprägten Systems. Schon in den 70er-Jahren, als Erzbischof von München und Freising, wetterte er gegen die „Diktatur des Relativismus“. Damit war die Abscheu gegenüber absoluten Wahrheiten gemeint, die im Zuge der Postmoderne weite Kreise der Gesellschaften weltweit erfasst hatte. Als Gegenmittel gegen derlei Verlockungen, aber auch gegen den Priesterschwund, setzte die Kurie darauf, die Kirche zu stärken, indem sie die Macht des Apparates ausbaute.

Wenig über den Menschen Ratzinger

Neue ultrakonservative und vor allem papsttreue Gemeinschaften wurden gefördert. Der ordnungsliebende, jegliches Chaos fürchtende Ratzinger mischte vor allem ab den 80er-Jahren als Glaubenspräfekt kräftig mit oder ließ Dinge geschehen. Erschütternd sind die Erinnerungen der Theologin Doris Wagner. Als Ordensfrau erlebte sie in der Gemeinschaft „Das Werk“ nicht nur strengste Kontrolle, sondern auch übelsten Antisemitismus. Fassungslos machen einen die Schilderungen eines früheren Priesters der „Legionäre Christi“, die zur einer Hochburg von sexueller Gewalt und Korruption wurden. Tony Flannery geriet mit der Glaubenskongregation in Konflikt und verlor sein Priesteramt. Wenn er berichtet, wie er in seiner irischen Gemeinde konspirativ überwacht wurde, werden Erinnerungen an die DDR wach.

Gerne würde man erfahren, wie der „Mensch“ Ratzinger mit all den Abgründen und Widersprüchen der Amtskirche umgeht. Doch auf dieser Ebene liefert Röhl wenig Konkretes. Umso deutlicher fällt die Diagnose für den Kleriker Ratzinger aus. Am Ende werden wütende Demonstranten gezeigt, die eine rücksichtslose Aufklärung der Missbrauchsfälle und ihrer systemischen Hintergründe fordern. Röhl unterstreicht damit seinen eigentlichen Antrieb für diesen Film, aber auch die im Grunde tragische Dimension der Vita Ratzingers.

„Verteidiger des Glaubens – Scheitern eines Papstes“ (Deutschland 2019), ein Film von Christoph Röhl, mit Doris Wagner, Georg Gänswein, Tony Flannery u.a., 90 Minuten. Jetzt im Kino

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