Kultur

Verräterische Umarmung

von ohne Autor · 10. Januar 2014

So hat man den Nahen Osten noch nicht gesehen: In dem Drama „Bethlehem“ verdichtet sich der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern zu einer tragischen Farce zwischen zwei Männern.

Nicht nur US-Außenminister John Kerry, der dieser Tage wieder einmal durch die Region tingelte, dürfte ein Lied davon singen können: Wer den Nahostkonflikt – zumindest ansatzweise – verstehen will, muss sich mit beiden Seiten befassen. Wie sich aus dieser banal anmutenden Erkenntnis ein aufwühlender Spielfilm zimmern lässt, führt der israelische Filmemacher Yuval Adler in seinem Debüt vor. 

Im Mittelpunkt stehen zwei Männer, die gegensätzlicher nicht sein könnten. Razi arbeitet beim israelischen Geheimdienst. Sein Tagesgeschäft: Palästinensische Extremisten zu stoppen, bevor sie sich in Israel in die Luft sprengen. Oder deren Hintermänner zur Strecke zu bringen, wenn ihnen ein Selbstmordattentäter durch die Lappen gegangen ist. Nach Dienstschluss entspannt er sich mit Frau und Kindern im Zoo.

Der halbwüchsige Sanfur lebt auf der anderen Seite der Sperranlagen. Sein Bruder Ibrahim bekämpft die verhassten „Zionisten“ im Untergrund. Sanfur steht in seinem Schatten. Was weder seine Familie noch all die bewaffneten Kämpfer in Bethlehem wissen: Sanfur hat sich vor Jahren von Razi als Spitzel anwerben lassen. So führt der 17-Jährige ein Leben zwischen zwei Welten und belügt Freund wie Feind: Ersteren, um nicht als Kollaborateur hingerichtet zu werden und Razi, um für sich ein paar Vorteile herauszuschlagen.

Mehr als nur ein Spitzel

Als Ibrahim sich zu einem Anschlag in Jerusalem bekennt, gerät das fragile Gebäude ins Wanken: Um ihn zu schnappen, verlangen Razis Vorgesetzte, Sanfur zu opfern. „Die Hure darf sich niemals in ihren Freier verlieben“: Mit dieser Warnung wird Razi von einem anderen Spion konfrontiert, der auf ein brutalstmögliches Vorgehen gegen die Brüder drängt.  Kurz zuvor war herausgekommen, dass Sanfur Hilfsgelder von der radikalislamischen Hamas in Ibrahims Dunstkreis geschmuggelt hatte. Eine verhängnisvolle Kettenreaktion nimmt ihren Lauf: Am Ende blicken Razi und Sanfur in einen Abgrund aus Verrat und Gewalt. Und man meint zu verstehen, warum auf jede Friedensinitiative immer wieder eine Enttäuschung folgt, wenn Besatzer und Besetzte, ganz konkret oder rhetorisch, den Finger am Abzug lassen.

Dennoch ist „Bethlehem“ alles andere als eine friedensverliebte Studie über den komplizierten Alltag in einer nicht weniger komplizierten Region. Zwar beweist der Film, gerade, was das Leben in den Autonomiegebieten betrifft, eine erstaunliche dokumentarische Schärfe: Mit den Augen Sanfurs erleben wir den trägen Dämmerzustand zwischen baufälligen Häusern, der in tatsächliche wie ritualisierte  Raserei umschlägt, sobald sich israelische Armeejeeps nähern, als eine sinnliche, aber eben auch alltägliche Erfahrung. Die jahrelange Recherche hatte Adler und seinen israelisch-palästinensischen Co-Autor Ali Waked bis in die inneren Zirkel von Al-Aqsa-Brigaden und Hamas geführt. Gedreht wurde in Betlehem, Ramallah, Jaffa und Jerusalem.

Außer Kontrolle

Doch all das bildet nicht viel mehr als den äußeren Rahmen. Der eigentliche Fokus liegt auf der Frage, was es heißt, in einer Situation gegenseitiger Ausnutzung ein vertrauensvolles Verhältnis aufzubauen und zu wahren. Mit genau diesem Widerspruch lebt Razi, der für Sanfur väterliche Gefühle hegt. Doch nur mit Zuwendung kann er den Palästinenser bei der Stange halten. Schließlich geht es auch um die Gefahren, wenn so ein fragiles Gebilde außer Kontrolle gerät: Zwar gelingt es den Israelis, Ibrahim auszuschalten. Doch nun droht Razi Sanfur an eine Extremistengruppe in Betlehem zu verlieren.

Zunehmend wird klar, dass die Verbindung zwischen Sanfur und Razi eine Farce ist – und warum sie gar nichts anderes sein kann. Angesichts dieser, je nach Sichtweise, verengten oder erweiterten Perspektive weist „Betlehem“ weit über die klassischen Erzählstränge, die sich mit dem Nahostkonflikt verknüpfen lassen, hinaus. Der Film ist im ständigen Fluss zwischen der Perspektive von Razi und Sanfur, ohne Partei für eine der beiden Seiten zu ergreifen oder Klischees zu bedienen: Dieser nüchtern-kammerspielartig inszenierte Kontrast, der den Zuschauer in teilweise unerträglicher Ungewissheit verharren lässt, fesselt von der ersten bis zur letzten Minute.

Für diese Meisterleistung, die auch den überragenden Laien-Hauptdarstellern zu verdanken ist, erntete der Film im vergangenen Jahr den Hauptpreis bei den Filmfestspielen von Venedig. Israel schickte ihn zudem ins Rennen um den Oscar. Unverständlich, dass die Nominierung ausgeblieben ist.

Zweifellos unterfüttert der reale Hintergrund die psychologisch-moralische Gratwanderung der Protagonisten mit einem besonderen dramatischen Potenzial. Wer hat nicht prompt all die Bilder im Kopf, wenn in den Nachrichten wieder einmal von Terrorattacken in Israel oder innerpalästinensischen Konflikten die Rede ist? Insofern bietet „Bethlehem“ einen beunruhigenden und hoch spannenden Blick hinter  Kulissen und Klischees. Mit Bildern, die bleiben, pflanzt er die Frage in unseren Kopf: Was würden wir an Razis oder Sanfurs Stelle tun?

Info:

Betlehem – wenn der Feind dein bester Freund ist (Israel, Belgien.Deutschland 2013), Regie: Yuval Adler, Drehbuch: Yuval Adler und Ali Waked, mit  Shadi Mar'i, Tsahi Halevy, Hitham Omari u.a., Sprachen: Sprachen: Arabisch, Hebräisch (OmU), 96 Minuten.

Ab sofort im Kino

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