Kultur

Verlorene Jahre

von Die Redaktion · 13. August 2007

Nach dem Tode Stalins im Jahre 1953 erhofften sich viele Menschen einen Neuanfang. Die von Nikita Chruschtschow auf dem XX. Parteitag der KPdSU (Kommunistische Partei der Sowjetunion) gehaltene Geheimrede, in der mit Verbrechen des Stalinismus abgerechnet wurde, erreichte gerade auch Intellektuelle in Ungarn, Polen und der DDR. Diese entwickelten Gedanken, wie ein demokratischer, offener Sozialismus zu gestalten sei und wer darin an der Spitze stehen könne und solle. Erich Loest, ein junger sächsischer Schriftsteller, gerade das Literaturinstitut Leipzig absolvierend und danach seine publizistische und literarische Karriere startend, steckte mittendrin in der Suche nach Alternativen.



Gelebte Widersprüche


Im vorliegenden Buch wird diese Zeit wieder lebendig als Zeit des Aufbruchs, der Ideale, der Kreativität. Ein demokratischer, offener Sozialismus sollte entstehen, der die besten Köpfe an seiner Spitze vereinigte. Wie der Autor machten sich Künstler, Verlagsleute, Philosophen Gedanken darüber, wie dem friedlich reformerischen Weg Polens gefolgt und ein blutiger Aufstand vermieden werden könnte. Im Widerspruch zum Sozialismus sah man sich nicht, im Widerspruch zu etlichen Köpfen an der Spitze, allen voran Walter Ulbricht, sah man sich schon.



Gestorbene Träume


An die Stelle Walter Ulbricht sollte Paul Merker treten, der als kluger Kopf galt und der unter Stalin selbst inhaftiert gewesen war. Doch Merker wurde zusammen mit Loest und anderen verurteilt. Der Traum von der Vereinigung Deutschlands durch ein Zusammengehen einer demokratisierten SED des Ostens und einer des Antikommunismus entledigten und somit im Sinne der potenziellen DDR- und Deutschland-Erneuerer reformierten SPD des Westens starb. Für den Verfasser des vorliegenden Buches, den Schriftsteller Erich Loest, wie für den Leiter des Aufbau-Verlages Walter Janka, den jungen Philosophen Wolfgang Harich und den altgedienten Kommunisten Paul Merker endete der Versuch, den Sozialismus zu reformieren, im Zuchthaus.

Die "Schriftsteller-Präsidentin" Anna Seghers hatte erfolglos versucht sich für die Inhaftierten einzusetzen. Sehr berührend ist übrigens, wie der ansonsten hart zur Sache gehende Autor Anna Seghers vor dem Vorwurf, sie habe sich nicht genug für die Inhaftierten eingesetzt, in Schutz nimmt und Gegenteiliges schreibt.

Es ist ein wichtiges Buch. Kein anderer als Erich Loest konnte es schreiben.

Dorle Gelbhaar



Erich Loest "Prozesskosten. Bericht", Steidl Verlag, Göttingen 2007,300 Seiten, Euro, ISBN978-3-86521-423-2

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