„Ein Wiederkommen“ ist wunderschönes Buch über das bittere Schicksal eines Jungen, der als Kind aus Hamburg Ende der 1930er-Jahre nach Frankreich geschickt wird, in einem französischen Internat aufwächst und als Erwachsener nach Deutschland zurückkehrt oder wiederzukommen versucht.
„Als sei er ein Möbelstück“
Arthur Kellerlicht, das alter ego des Autors Georges-Arthur Goldschmidt, ist eher wegen des unauftreibbaren Ariernachweises als wegen seiner religiösen Überzeugung Jude. Er erklärt, dass er „weder das eine noch das andere war, weder Deutscher noch Franzose, weder Christ noch Jude“. Es ist ihm unverständlich, warum er nicht mehr an der Havel oder an der Elbe wohnen kann. „Und keiner konnte sich auch nur vorstellen, was in ihm vorging, wie er da so saß, verurteilt einfach, weil er geboren war. Er saß da in seinem Körper, wie jeder andere Mensch, und doch wurde über ihn verfügt, als sei er ein Möbelstück.“
Der Einzelne, den die gesellschaftlichen Verhältnisse an die Wand drücken, ist das Thema des Autors. Schon im Zugabteil auf dem Weg nach Frankreich stellt sein Protagonist fest, dass da „ganze Weltgeschichten“ mit ihm fahren, „viele Menschen, jeder vom anderen verschieden“, und „aus jedem konnten ganze Romane hervorkommen“.
Unaufgeregt-lakonische Erzählweise
Mit dem vertriebenen Jungen entdeckt man Paris. Das steht er vor der Académie français oder im Hof des Louvre, „da hatten die Könige Frankreichs gelebt und Tausende von Höflingen waren da durchgegangen, hatten sich aufgehalten, Pferdewagen waren durch die vier Tore gefahren, es war, als ob alle Geräusche, die tausenden Stimmen, noch irgendwie in der Luft hingen“. „Alles Vergangene“, resümiert Kellerlicht, „war gegenwärtig, eingefroren, wie Rabelais meint.“
Ursprünglich ist das Buch auf Französisch erschienen. Beim Lektorieren hat der Verlag leider gespart: Was bedeutet, bitte sehr, „abpochen“, was sind „entsprechend kochende Bestrafungen“, was fängt der Leser mit dem Wort Heimwehschutz an? Doch selbst diese Frankozismen stören nicht die unaufgeregt-lakonische Erzählweise, die an Heinrich Böll oder Siegfried Lenz erinnert.
Ein Wiederkommen, keine Rückkehr
An Goldschmidts kundiger Hand unternimmt man den einen oder anderen Ausflug in die Literatur- und Geistesgeschichte. Immer ist es vergnüglich, bis der Ton unversehens umschlägt. So liest der Schüler den „Taugenichts“, da geht ihm durch den Kopf, dass Eichendorffs Figur noch „zu einer heilen Welt gehört“ hatte und „wusste, wo er war, Kellerlicht dagegen war haltlos und ein Pfuscher, zu nichts gut“.
Kellerlicht versucht eine Rückkehr nach Hamburg, aber es „lag damals, 1949, etwas Kaltes über Deutschland“. Hier hatte er „nichts mehr zu suchen“. Millionen Vertriebene sind nach Krieg und Befreiung in Deutschland integriert worden. Für die Exilierten, die die Nationalsozialisten vertrieben war auch im Nachkriegs-Deutschland kein Platz. Bestanden sie auf einem solchen, war er nur unter größten Mühen und mit furchtbaren Enttäuschungen zu gewinnen. Man liest es bei Goldschmidt. Eine Rückkehr? Keine Rückkehr.
Georges-Arthur Goldschmidt: „Ein Wiederkommen“. Roman. S. Fischer, Frankfurt am Main 2011, 191 Seiten, 18,99 Euro, ISBN 978-3-10-027825-8
Matthias Dohmen hat Germanistik, Geschichte, Politologie und Philosophie studiert, arbeitet als freier Journalist und ist 2015 mit einer Arbeit über die Rolle der Historiker West und Ost im "deutschen Geschichtskrieg" promoviert worden.