Kultur

Verliebt in die Pampa

von ohne Autor · 28. März 2014
Martin Schulz Parteitag Dortmund
Martin Schulz Parteitag Dortmund

Noch immer ist die ostdeutsche Provinz für viele Zeitgenossen voller Geheimnisse. Für sie erfüllen sich dort verborgene Sehnsüchte, es warten sinnliche Grenzerfahrungen. In „Deutschboden“ wird eine Auszeit  im Brandenburgischen zum Selbsterfahrungstrip.

Der Filmemacher Christian Petzold spürte im Norden Brandenburgs einst den Zauber nordamerikanischer Weiten. Den „Zeit“-Journalisten Moritz von Uslar zog es vor ein paar Jahren in einen dünn besiedelten Landstrich nördlich von Berlin. Sein Reportage-Buch „Deutschboden“ über die dreimonatige Auszeit im Städtchen Zehdenick wurde ein Erfolg. Für dessen Verfilmung machte er sich erneut auf den Weg an die Havel.

Der Autor ist einer der bekanntesten Vertreter des „New Journalism“, einer journalistischen Gattung, die sich vor allem auf einen subjektiven Zugang zu einem Thema – die sogenannte teilnehmende Beobachtung – und literarische Stilmittel verlässt. Eine ähnliche Perspektive prägt auch den Film von André Schäfer: Gerade durch seine Empathie für die Menschen und ihre Umgebung liefert „Deutschboden“ ein intensives und bisweilen überraschendes Stimmungsbild aus einem vermeintlichen Hort der Trostlosigkeit. Ob die als Dokumentarfilm angekündigte Adaption und die kollektive Umarmung Erkenntnisse zutage fördert, die einer kritischen Überprüfung standhalten, steht auf einem anderen Blatt.

Von Uslar, der für den Film wieder in die Rolle des Reporters schlüpfte, vermittelt zunächst ein Quantum kritische Distanz. Während er an einem Frühlingsabend eine menschenleere Straße abschreitet, an der sich ein verrammeltes Haus an das andere reiht, erinnert er sich daran, wie er zunächst mit jener Stadt fremdelte, die bis kurz nach der Wiedervereinigung von der Ziegelindustrie lebte und seitdem wirtschaftlich dahindämmert. Habe sie auf den ersten Blick wie eine jede andere Provinzstadt, auch im Westen Deutschlands, gewirkt, habe sie bei näherer Betrachtung düsterer, härter und gebückter gewirkt. Das schien – neben der Lust, sich an den Kontrasten zum gewohnten Berliner Alltag zu ergötzen –  seinen Entdeckergeist erst recht angespornt zu haben. Zumal in jenem Reich der Finsternis „des Prolls reinste Seele“ wartete.

Beste Zeit des Lebens

Entdeckt haben will er aber vor allem, dass jene Zehdenicker, die er bei der Recherche kennengelernt hat, gute Menschen seien: „Ich kam als Fremder und ging als Einheimischer“, spricht von Uslar aus dem Off. Wer will da noch Zweifel haben, wenn er obendrein verkündet, jener Sommer in der Kleinstadt, der er den fiktiven Namen „Oberhavel“ verpasst, sei die beste Zeit seines Lebens gewesen?

Ob zerborstene Straßenlaternen, tiefergelegte Mittelklassewagen neben grauen Eigenheimen in Spritzbeton, der abgerissene Charme des örtlichen Kramladens oder ein tätowierter Skinhead bei der Wellnesskosmetikerin: Andy Lehmanns Kameraarbeit verwebt krasse, aber keinesfalls vorhersehbare Eindrücke zu einer atmosphärisch dichten Bilder-Erzählung, deren dokumentarischer Gehalt dem der Einlassungen des Protagonisten mitunter deutlich überlegen ist. Immer wieder fragt man sich, ob von Uslars teilnehmende Beobachtung mit ihm durchgegangen ist oder ob er mit dem wohlwollenden Blick auf die Menschen, darunter sind immerhin ehemalige Neonazis, kokettiert. In der freien Form, die auch diesen Film prägt, ist beides möglich. 

Hinter all dem scheint allerdings eine Absicht hindurch, die zumindest überdenkenswert ist: zu zeigen, dass auch sogenannte randständige Lebensweisen ihre Berechtigung haben. Davon zeugen nicht nur die Begegnungen und Gespräche in der Kneipe. Am deutlichsten wird es am Beispiel der Rockband „5 Teeth less“, um deren Mitglieder der Film weitgehend kreist: Männer jenseits der 30, die in Musik und Körperkult Sinn suchen und wohl auch finden, selbst wenn eine ökonomisch abgesicherte Existenz in weiter Ferne liegt. Zehn Jahre zuvor haben sie als Nazi-Skins die Gegend unsicher gemacht, einige von ihnen wanderten in den Knast. Haben sie der Ideologie abgeschworen? Dazu fallen nur einzelne Satzfetzen, an die Partys erinnern sich die Gesprächspartner gern. „Besser ein paar Streiche in der Jugend als ein Stubenhocker“, bekennen die Eltern des Gitarristen. Selbst wenn damals andauernd ein Polizeiwagen vor der Tür stand. Die Subjektivität stößt gerade bei diesem Aspekt an ihre Grenzen und ist doch zugleich entlarvend.

Immer wieder Randale

Das gilt auch für die Episode über zwei schwule Männer, die am Stadtrand ein Restaurant betreiben. Immer wieder wurde dort randaliert. Der Film spinnt den Faden nicht großartig weiter, doch ist allein dieser kurze Einblick in die dunkle Seite der angeblichen Kleinstadtgemeinschaft, deren Jugend sich vorzugsweise zu abendlichen Bierrunden und Burn-outs an der Tankstelle versammelt, vielsagend.

Auch wenn „Oberhavel“ vieles von dem bietet, was das Klischee jener vergessenen Städte im Osten ausmacht: „Deutschboden“ – der Name geht auf eine nahe gelegene Drei-Häuser-Siedlung zurück – gelingt es trotzdem, diese Geschichte(n) nicht unter einem dezidiert ostdeutschen Blickwinkel zu erzählen. Weil er den regionalen Kontext weitgehend ausblendet und  weniger von dem berichtet, was war, sondern davon, was diese Menschen im Jetzt umtreibt. Mögen die individuellen Weisen, sich darin einzurichten, auch noch so abwegig anmuten. 

Info: Deutschboden (Deutschland 2013), ein Film von André Schäfer, nach dem gleichnamigen Buch von Moritz von Uslar, Kamera: Andy Lehmann, 97 Minuten. Ab sofort im Kino

0 Kommentare
Noch keine Kommentare