Wie lebt, liebt und hofft es sich in einer von den Zeitläuften nicht eben verwöhnten Metropole auf dem Weg zur „Normalität“? „Rendezvous in Belgrad“ ist ein sensibler, unterhaltsamer und vor allem origineller Blick darauf, was es heißt, aus- und aufzubrechen.
Ein stolzer Ruf umgab diese Stadt schon immer. Doch seit dem Ende der Ära Milosevic ist Belgrad unübersehbar bestrebt, über seine regionale Bedeutung hinauszuwachsen und auch international wieder als Metropole in Sachen Kunst, Geist und Hedonismus aufzuholen: also gewissermaßen daran anzuknüpfen, wo Serbiens Hauptstadt vor den Gewaltexzessen und der Mangelwirtschaft der 90er-Jahre längst angekommen war. Und doch: Belgrad als Stadt der Liebe? Für diese Vorstellung düfte der Blick vieler Zeitgenossen gerade wegen der jüngeren Vergangenheit immer noch verstellt sein.
Doch das ist wohl nur eine Frage der Perspektive. Wer nach vorne schaut, entdeckt Liebe und Leidenschaft noch hinter dem letzten Strauch. Genau das tut die Off-Stimme, die sich aus den schwermütigen Chorgesängen zwischen den Episoden von „Rendezvous in Belgrad“ herauslöst und die Stadt an der Donau auch im kapitalistischen Sinne als sexy anpreist – als ginge es um einen Bewerbungsfilm für einen EU-Beitritt der Republik Serbien.
Genau das ist selbstverständlich nicht der Fall. Die Persiflage auf das Stadtmarketing wirft allerdings jene Fragen auf, um die die vier Geschichten dieses Films kreisen, die über einzelne Figuren miteinander verwoben sind: Was schleppen wir aus der Vergangenheit mit uns herum? Wie wahrhaftig ist das Jetzt, in dem wir leben? Und welchen Ballast müssen wir abwerfen, um neu anzufangen?
Trinken und vergessen
Diesen Fragen muss sich nicht nur die von Krieg und Kriegsgewinnlern gezeichnete Metropole immer wieder stellen, sondern auch jene Menschen, die die Filmemacher Bojan Vuletic und Stefan Arsenijevic dort zusammenführen. Es ist die Chance seines Lebens: Stefan soll die berühmte französische Chanteuse Sylvie vom Flughafen zum Konzertsaal chauffieren. Doch die hat anderes im Sinn als Interviewtermine und Zeitpläne. Weil ihr Mann sie kurz zuvor sitzen gelassen hat, lässt sie sich zulaufen, um zu vergessen. Den Auftritt meistert Sylvie nur mit Mühe: nämlich, indem sie Stefan dazu verdonnert, buchstäblich an ihrer Seite zu bleiben.
Der verliert am Ende seinen Job und gewinnt sein erstes Liebesglück. Konzertmanagerin Melita ist live dabei, als dieses eine unerwartete Wendung nimmt. Der Fokus auf die von Arbeitslosigkeit bedrohte Kulturarbeiterin leitet die nächste Episode ein. Seit Jahren träumt Melita davon, mit ihrem amerikanischen Lover in den Staaten ein neues Leben anzufangen. Der beichtet ihr urplötzlich, dass er in Serbien bleiben will. Obendrein outet sich der angebliche Diplomat als Koch an der US-Botschaft. Aus ist es mit dem Visum – und Melitas Rache fürchterlich.
Einen Weg zurück in die Tristesse des Alltags mit ihren unerfüllten Sehnsüchten gibt es für sie nicht.Zimmermädchen Jagoda bekommt das Drama, das hinter der Tür der Nobelabsteige seinen Lauf nimmt, nur am Rande mit. Wenig später bringt sie einen Überraschungsgast beim Junggesellinnenabschied ihrer Freundin Djurdja heftig ins Schlingern. Und zwar nicht nur mit reichlich Bier und Rakia: Gewinnt sie die Wette, dass Orhan noch in dieser Nacht seine Liebste mit ihr betrügen wird? Und wird sie ihn am Morgen darauf wirklich ziehen lassen?
Währenddessen hastet eine Autokolonne zur Trauung von Djurdja und Mato durch die serbische Pampa. Matos Kloß im Hals wird immer größer: Schließlich nimmt er allen Mut zusammen und beichtet seiner Braut eine Affäre. Was zur Folge hat, dass Djurdja der Hochzeitsgesellschaft davonbraust. Doch nach einer Verfolgungsjagd im Maisfeld zeigt sich, dass auch die schlagfertige Polizistin nicht ganz ehrlich war. Und nicht nur das.
Initiative statt Melancholie
Emotionen am Rande des Nervenzusammenbruchs, Chaos und reichlich Alkohol: Auf den ersten Blick scheinen wieder einmal die klassischen Zutaten einer Balkan-Tragikomödie auf dem Tisch zu liegen. Dafür sprechen zudem Skurrilitäten wie ein Chor aus Anti-Terror-Milizionären, die vom Suchen und Finden der Liebe brummeln. Doch „Rendezvous in Belgrad“ geht weit darüber hinaus. Allein deshalb, weil seine Figuren, bei allen Hypotheken, ihre Zukunft und ihr persönliches Glück im Blick haben, anstatt sich von der Vergangenheit übermannen zu lassen.
Manch einer mag behaupten, die komödiantische Zuspitzung würde nicht genug ausgekostet. Doch gerade diese Behutsamkeit deckt sich vorzüglich mit einer im Grunde genommen realistischen Erzählweise, die mit einem märchenhaften Hauch garniert wird und auch in den komischen Momenten kein Quäntchen Spannung einbüßt. Selten wurde so schräg und erfrischend vom Glauben an das Morgen und von der Kraft des Zufalls erzählt.
Info: Rendezvous in Belgrad (Practical Guide to Belgrade with Singing & Crying) (SRB/D/F 2012), Regie und Drehbuch: Bojan Vuletic und Stefan Arsenijevicmit Julie Gayet, Marko Janketic, Anita Manacic, Jean-Marc Barr, Nada Šargin u.a., 86 Minuten, OmU. Ab sofort im Kino