Murat Kurnaz ist ein gläubiger Muslim. In seiner Kindheit mehr als Pflichterfüllung angesehen, entschließt er sich mit dem Erwachsenwerden, sein Leben nach den Regeln des Korans auslegen: den
Suren. Um nach den orthodoxen Vorgaben des Islam leben zu lernen, begibt er sich nach Peschawar in Pakistan. Dieser Ort steht in der Geschichte des islamistischen Terrorismus dafür, wie nahe
beieinander Extremismus und strenge religiöse Auslegung des Korans liegen können. Zumindest in den Augen des Betrachters.
Tortur im Lager
Der Bremer mit türkischem Pass wird in Pakistan gefangen genommen, den US-Amerikanern als Terrorist verkauft, zuerst in Afghanistan, anschließend in Guantanamo gefangen gehalten. Die
Bedingungen in beiden Lagern widersprechen in allen Formen den Menschenrechten. Die Gefangenen erleiden eine einzige, sich in einer Spirale stetig steigernden Tortur. Ausgeführt von Menschen, die
Befehlen gehorchen, welche ihnen gegeben wurden. Und doch liegt es am Individuum, welchen Grad der Erniedrigung es festlegt. Immer wieder versuchen die Soldaten, mit unterschiedlichster Gewalt ein
Geständnis von Kurnaz zu erpressen.
Er schweigt bis zu seiner Entlassung. Moralisch gewinnt er dadurch die Oberhand. Wie die anderen Gefangenen entwickelt Kurnaz, Strategien, sich am Leben zu halten. Die Erzählung über seine
Erfahrungen in der Gefangenschaft, mit seinen Wärtern und den Mitgefangenen ist sehr detailliert. Hier könnten Historiker die Frage nach dem Verschwimmen der Erinnerung mit dem Wissen, das sich
Kurnaz erst nach seiner Gefangenschaft aneignen konnte, stellen. Aber entscheidend ist das für seine Geschichte nicht.
Aushalten in der Wirklichkeit
Entscheidend ist vielmehr, dass sich jeder beim Hören fragt, wie lange ein Mensch solche Qualen aushalten kann, ohne krank zu werden oder zu sterben. Das Hörbuch, gesprochen von Paul
Sonderegger, lässt einen nicht los. Geht nahe, zu wirklich erscheint die Geschichte. In einer sorgfältigen Sprache gibt Sonderegger die erinnerten Gefühle und Erlebnisse wider, die Kurnaz in dem
gleichnamigen Buch niederschrieb.
Am Ende kehrt Kurnaz nach Deutschland zurück, in das Land seiner Kindheit. Verwundert stellt er fest, dass kaum ein Mensch, der ihm hier begegnet, wirklich nach seinen Erlebnissen fragte.
Alle reden nur davon, wie viel oder wie wenig sie damit zu tun hatten, dass er verschleppt, gefoltert und erniedrigt wurde.
Julia Kleinschmidt
Murat Kurnaz: Fünf Jahre meines Lebens. Ein Bericht aus Guantanamo, gelesen von Paul Sonderegger, Berlin 2007, Der Audio Verlag, 3 CDs, 240 min., 19,99 Euro
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