Verhofstadt leitet seit 1999 die einzige Liberal-Sozialistische Regierung Europas. Dem überzeugten Europäer, den die euro-skeptische britische Regierung 2004 als EU-Kommissionspräsident zu
verhindern wusste, ist die Wut über die derzeitige Entwicklung Europas anzumerken. Sein "Manifest für ein neues Europa" ist eine klare Absage gegen all jene, die das Projekt Europa in den letzten
Jahren heruntergeredet haben.
"Europa darf nicht zur Freihandelszone verkommen"
Ungewöhnlich offen für einen Regierungschef spricht er Klartext: "Europa befindet sich ganz klar am Scheideweg, wobei sich eine alles in allem einfache Entscheidung aufdrängt: Lassen wir
Europa zur Freihandelszone verkommen, in der die nationalen Mitgliedsstaaten zu Konkurrenten werden, um am eigenen Leib zu erfahren, wer die beste Antwort auf die Globalisierung zu bieten hat? Oder
greifen wir den europäischen Faden wieder auf und schaffen ein solides politisches Europa, das eine Rolle auf der Weltbühne spielt."
Eine langfristige Zukunft kann der Kontinent nur durch eine politische Union erreichen, ist sich Verhofstadt sicher. Er fordert, Europa auch endlich wieder für die Jugend attraktiv zu machen,
für die Europa zur "Selbstverständlichkeit" geworden ist. Dass ein politisches Europa generationsübergreifend gewünscht wird, zeigen auch die im Buch zitierten Meinungsumfragen der europäischen
Statistikbehörde. Diese zeigten dass die "Menschen nicht weniger, sondern ein anderes Europa" wollen, so Verhofstadt.
Weg von der Frühstücksrichtlinie und hin einer europäischen Sozialpolitik
Der Autor zeigt auf, wie dieses "andere Europa" aussehen könnte. Es müsse die europaweiten Ängste der Bürger aufgreifen und Lösungsstrategien entwickeln: Angst vor den Folgen der
Globalisierung, vor Sozialabbau, vor Arbeitsplatz-, und Identitätsverlust. Europa müsse sich zugleich auf diese wesentlichen Themen konzentrieren und aufhören sich "mit Belanglosigkeiten wie etwa
den Abmessungen von Legebatterien, oder der Konfitürenzusammenstellung in der Frühstücksrichtlinie" zu beschäftigen.
Um Europa aus der Krise zu holen und es wieder handlungsfähig zu machen, fordert er für die EU fünf Aufgabenfelder: eine koordinierte Wirtschafts- und Sozialpolitik, mehr Mittel für Forschung
und Entwicklung, gemeinsame Strategien zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität, eine einheitliche Außenpolitik inklusive eines europäischen Sitzes im UN-Weltsicherheitsrates und die Gründung
einer europäischen Armee. Mit Verhofstadt kommt endlich wieder Leben in die Debatte um die Zukunft Europas.
Prädikat: äußerst lesenswert!
Guy Verhofstadt: Die Vereinigten Staaten von Europa. Manifest für ein neues Europa. Grenz-Echo Verlag, Eupen (Belgien), 2006, 96 S., 10 €, ISBN 90-5433-220-4
Chefredakteur der DEMO, Fraktionsvorsitzender der SPD in der Bezirksverordnetenversammlung Berlin Charlottenburg-Wilmersdorf