Kultur

Verdrängung und Luxussanierung als Thriller: „Der letzte Mieter“

Auch Thriller können Sozialkritik: „Der letzte Mieter“ zeigt denkbar drastisch, wie fatal die Entmietung eines Hauses enden kann. Im Mittelpunkt der Handlung: Ein verzweifelter Rentner in Berlin, der sich weigert, seine Wohnung aufzugeben.
von ohne Autor · 7. August 2020
„Der letzte Mieter“: Wie kommt Tobias (Matthias Ziesing) nur wieder aus dem Schlamassel heraus?
„Der letzte Mieter“: Wie kommt Tobias (Matthias Ziesing) nur wieder aus dem Schlamassel heraus?

Was sich derzeit auf dem Wohnungsmarkt in Berlin und vielen anderen deutschen Großstädten abspielt, sorgt in weiten Teilen der Gesellschaft für heiße Herzen. Gentrifizierung und Verdrängung greifen um sich und sind Kampfbegriffe im Protest gegen den Ausverkauf ganzer Wohnviertel. Jede Meldung über ein zwangsgeräumtes Haus beflügelt Emotionen und Fantasie.

Vor allem aber bedeuten ungewollte Wohnungsauszüge, denen nicht selten dreiste Mieterhöhungen oder gar Räumungsklagen vorangingen, immer auch ein persönliches Drama. Insofern verwundert es, dass dieses ebenso aufgeladene wie ertragreiche Segment an erzählerischem Stoff im hiesigen Filmschaffen lange Zeit kaum ausgeschöpft wurde.

Luxussanierung und das Schicksal eines Berliner Rentners

Gregor Erler macht eine Ausnahme. In „Der letzte Mieter“ erzählt der Regisseur und Drehbuchautor davon, wie ein Berliner Rentner sich mit allen Mitteln dagegen sträubt, nach gut 40 Jahren seine Wohnung, die er „seine Heimat“ nennt, aufzugeben. Für Dietmar ist der Rauswurf der Endpunkt jahrelanger Schikane. Ein Immobilienunternehmen hat den ganzen Straßenzug mitsamt dem letzten unsanierten Altbau gekauft und will die Häuser zu lukrativen Lofts umbauen. Menschen wie Dietmar sind gemäß der entsprechenden Logik nichts als Altlasten. 

Keine Sorge: Erlers Spielfilmdebüt ist weder ein soziales Rührstück noch ein agitatorisches Werk gemäß dem Schema „böse Heuschrecke kontra guter Bewohner“. Stattdessen legte der Berliner Filmemacher Erler sein – dessen ungeachtet durchaus sozialkritisches – Werk als düsteren und bisweilen actionlastigen Thriller an. Darin ist längst nicht alles so klar, wie es zunächst scheint.

Eigentlich wollte Tobias seinem Vater an dem Tag, an dem er und die letzten verbliebenen Nachbarn ihre Wohnung in Polizeibegleitung verlassen sollen, nur ein paar Tabletten vorbeibringen. In den nunmehr kahlen Räumen, wo er aufgewachsen ist, findet er Dietmar im Gespräch mit einem jungen Makler der besagten Immobiliengesellschaft. Was haben die beiden in diesem für den Altmieter so schmerzhaften Moment miteinander zu besprechen? Das fragt sich nicht nur Tobias, das fragen sich auch die Zuschauenden.

Mischung aus Action und Drama

Dies kommt allerdings nur nach und nach ans Licht. Da liegt längst eine Leiche in der Küche. Als sich eine junge Polizistin Zugang zu der völlig heruntergekommenen Bleibe verschafft, um nach dem Rechten zu sehen, gerät die Situation völlig außer Kontrolle. Nun findet sich Tobias plötzlich als Geiselnehmer wieder. Spätestens als das SEK anrückt, ist klar: So einfach kommt der Handwerker, der noch am Morgen auf Baustellen-Tour war, aus dieser Geschichte, in die er scheinbar zufällig hineingestolpert ist, nicht wieder heraus.

Doch mit dem Zufall ist es so eine Sache. Die kriminelle Energie windiger Investoren, Existenznöte und unaufgearbeitete Vater-Sohn-Konflikte: In dieser zugespitzten Situation laufen einige Fäden zusammen, will heißen: Die ganze Eskalation hat durchaus eine Vorgeschichte. Erler macht daraus ein Kammerspiel, das sich über weite Strecken im früheren Wohnzimmer der Familie abspielt.

Auf der einen Seite sind Erzählweise und Ästhetik um maximalen Realismus bemüht. Zugleich gibt es immer wieder Situationen, in denen die tragische Dynamik unerwartet Fahrt aufnimmt und Thriller-Elemente breiteren Raum einnehmen. Ausgang ungewiss, so wie man es aus anderen Genre-Werken kennt. Erler – er übernahm gemeinsam mit Hauptdarsteller Matthias Ziesing den Job als Produzent – orientierte sich hierbei vorzugsweise an skandinavischen Krimis. Davon legen Licht und Farben wie auch die langen Einstellungen Zeugnis ab. Dieser Thriller hat allerdings einen realen Kern. Und der bleibt auch dann präsent, wenn der Plot mal kurz ins Holpern gerät.

Spannend, intensiv, kritisch

„Der letzte Mieter“ ist alles andere als vorhersehbar und lebt auch dank der überschaubaren, aber hervorragenden Besetzung von einer immensen Intensität. Drehbuch und Regie treiben die Grenzüberschreitung immer wieder voran und meistern sie überwiegend bravourös. Gerade mit diesen Mitteln jenseits von Didaktik und Polemik schärft der Film, der auf diversen Festivals Preise gewann, das Bewusstsein für alltägliche Dramen, die sich ohne Kamera-Begleitung abspielen. Der 1982 geborene Erler arbeitet damit auch eigene Kindheitserfahrungen in Ost-Berlin nach 1989 auf.

„Der letzte Mieter“ (D 2018), Buch und Regie: Gregor Erler, mit Matthias Ziesing, Pegah Ferydoni, Moritz Heidelbach u.a., ab 16 Jahren. Kinostart: 13. August

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