Kultur

Verantwortungslose Klimaleugner

von Michael Müller · 14. Februar 2012

Der Klimaschutz ist eine Menschheitsherausforderung, er darf deshalb kein Tummelfeld für Wichtigtuer sein. Doch ausgerechnet der frühere Umweltschützer und heutige RWE-Manager Fritz Vahrenholt schürt in seinem neuen Buch populistische Vorurteile – als ein Klima-Sarrazin.

Zweifellos hat sich Vahrenholt in den 1970er- und 80er-Jahren durch die Aufklärung chemischer Gefahren („Seveso ist überall“) und durch seine Tätigkeit im Umweltbundesamt Verdienste erworben. Danach ist er jedoch zu einem Lautsprecher ökonomischer Anpassung und zu einem Vorreiter der Verharmlosung geworden. Aus dem Atomkraftgegner wurde ein Befürworter der Laufzeitverlängerung, aus dem scharfen Kritiker der Umweltzerstörung ein Klimaleugner.

Der Kampf gegen die Erderwärmung wird teuer und unbequem, verlangt Mut und Verantwortungsbewusstsein. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich auch in unserem Land eine ökoreaktionäre Gegenbewegung meldet. Der frühere Umweltmann Vahrenholt vertritt in seinem neuen Buch („Die kalte Sonne“, Hoffmann und Campe, ISBN 978-3-455-50250-3) die steile These, dass der Klimawandel weit überwiegend nicht vom Menschen verursacht würde und präsentiert sich dem erstaunten Publikum als einsamer Mahner, den Klimaschutz nicht zu übertreiben. Durch seine Öko-Vergangenheit ist das überraschend, schnell wird übersehen, dass diese Thesen sonst nur von ignoranten Rabulisten am rechten Rand der Gesellschaft vertreten werden.

Breitseite gegen den Klimarat

Vahrenholt hat zusammen mit einem klimatologisch mitdilettierenden Weggefährten des RWE, dem Geologen Sebastian Lüning, in dreister Verschleierung zusammengeschrieben, was das Geheimnis hinter den Innovationsblockaden von RWE gegen die Energiewende ist: Mit Aussagen wie „Klimalüge“, „Wissenschaft-Politik-Zeitgeist“, „Die Lüge der Klimakatastrophe“ oder „CO2-Lüge“ werden die weitreichenden umweltpolitischen Befunde des Weltklimarates (IPCC) als Halbwahrheiten und Verschwörungen hingestellt. Zwar leugnen die beiden Autoren den Klimawandel nicht, aber sie geben die Verantwortung dafür weit mehr der Sonne als etwa dem wichtigsten Treibhausgas Kohlendioxid (CO2). Sie behaupten, dass sich die Erde in den kommenden 25 Jahren noch etwas abkühlen werde. Als Hauptgrund nennen sie die sich abschwächenden Sonnenaktivitäten. Die Folge: Ein globales Abkommen zum Klimaschutz sei nicht dringend. Der Weltklimarat (IPCC) wäre blamiert.

Hätte die Autoren mit ihren Thesen Recht, müssten sie sich der wissenschaftlichen Debatte stellen und einen Aufsatz in Nature oder Science veröffentlichen, wissenschaftliche Zeitungen, die für Seriosität und Kompetenz stehen. Das tun sie nicht, keiner der Autoren ist ein Klimaforscher und sie wissen, dass sie den Härtetest nicht bestehen würden. Das Ganze ist so schief wie die Frage: Würden Sie bei Herzschmerzen zum Zahnarzt gehen?

Wie Spekulanten in der Finanzkrise

Die Zentralthese heißt: Der anthropogene Klimawandel spielt keine entscheidende Rolle, entscheidend seien die Sonnenaktivitäten. Wir hätten viel mehr Zeit für den Klimaschutz, es gäbe keine akute Gefahr, so Vahrenholt und Lüning. Sie verhalten sich wie die Spekulanten, die uns in die Finanzkrise geführt haben, sie vertreten fragwürdige, aber nicht reale Erwartungen. Ganz so wie die Geldhändler arbeiten sie nicht mit gesicherten Fakten. Sie glauben, dass die natürlichen Faktoren den anthropogenen Klimawandel abschwächen würden und der wiederum deutlich geringer sei, als bisher behauptet würde.

Sie gehen von einer Abschwächung der Sonnenaktivitäten aus, die einen zentralen Einfluss auf das Klima haben. Zwar stimme, dass Kohlenstoffdioxid das Klima aufheizt, aber längst nicht so stark wie behauptet. Mindestens die Hälfte der bisherigen Erderwärmung ging auf eine verstärkte Aktivität der Sonne zurück. Das sei seit Beginn des neuen Jahrtausends vorbei und würde sich absehbar nicht mehr verändern. Von daher, so Vahrenholt und Lüning: Entwarnung.

höchst umstrittene und mehrfach wiederlegte Thesen

Die Autoren stützen sich auf Arbeiten amerikanischer und britischer Forscher, die für das 21. Jahrhundert eine sehr viel geringere Aktivität prognostizieren. Das ist auch nicht bestritten. Sie behaupten, die natürlichen Klimaschwankungen, die durch oszillierende Meeresströmungen und die Strahlung der Sonne hervorgerufen würden, seien viel entscheidender für den Klimawandel als CO2. Dabei haben sich der Weltklimarat und die Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre“ des Deutschen Bundestags wie auch die Klimaforschung allgemein intensiv mit dem natürlichen Faktoren des Klimawandels und seinen Wechselwirkungen mit dem anthropogenen Treibhauseffekt beschäftigt.

Die Thesen von Vahrenholt und Lüning sind mehrfach widerlegt oder höchst umstritten. Doch sie behaupten, Tausende von Wissenschaftler, die seit Mitte der 1990er-Jahre in dem IPCC-Prozess zusammenarbeiten, irren sich: Die Erderwärmung sei zum Stillstand gekommen. Falsch sei das zentrale Forschungsergebnis des IPCC, die vom Menschen emittierten Treibhausgase wie Kohlendioxid verursachen einen globalen Klimawandel.

Der Klimarat hat die Sonnenaktivitäten berücksichtigt

Wenn das stimmte, müsste die Wissenschaft einpacken. Weltweit gibt es keinen aufwendigeren Forschungsprozess als im IPCC. Das IPCC betreibt selbst keine Forschung, schon deshalb ist der Hinweis der Verschwörung absurd, fasst aber alle relevanten Forschungsergebnisse zusammen. Die Beratungen der Forscher aus aller Welt durchlaufen drei Runden, in denen jeder Forscher seine Position, Anregung und Kritik zu der Vorlage der Lead-Autoren einbringen kann, die alle in den Protokollen des IPCC festgehalten werden müssen.

Tatsächlich hat das IPCC die Sonnenaktivitäten nicht vernachlässigt. Hunderte Forscher beschäftigen sich mit den Sonnenaktivitäten und dem Vulkanismus. Auch das Thema Ozeane gehört zu den Schwerpunkten des IPCC, genauso wie der Einfluss der biogenen Faktoren.

Nachzulesen ist nicht nur bei Vahrenholt und Lüning, sondern auch beim IPCC, dass es in den 1950er- und 1960er-Jahren ein Maximum der Sonnenaktivitäten gegeben hat, die seitdem abnehmen. Als Beispiel für ihre These führen die Leugner des anthropogenen Klimawandels jedoch an: Auch in der Abkühlungsphase, die zwischen 1645 und 1715 zu verzeichnen war, wurden viel weniger Sonnenaktivitäten beobachtet als davor und danach. Damals gab es in Europa und Nordamerika extrem kalte Winter. Und heute, so die Studien der University of Reading (GB), dürfte die Abschwächung bis zu 90 Jahren dauern.

gezielte Verbreitung von Unsicherheit

Damals waren aber, was Vahrenholt und Leuning verschweigen, vor allem die Folgen schwerer Vulkanausbrüche für die Abkühlung verantwortlich. Dadurch wurden Schwefel und Aerosole in die Troposphäre geschleudert, die das Sonnenlicht blockieren und die Erde abkühlten. Ähnliche Folgen hat beispielsweise vor drei Jahren der anerkannte US-Klimaforscher Ramanathan für China beschrieben. Durch die extreme Luftverschmutzung in China wird der Klimawandel gedämpft und das – aufgrund der Bedeutung des Landes – sogar global. Würde dort eine konsequente Luftreinhaltungspolitik betrieben, wäre die globale Erwärmung bereits deutlich höher.

Joachim Marotzke vom Deutschen Klimaforschungszentrum in Hamburg beschreibt Vahrenholt als einen, der zwar viel gelesen, aber wenig verstanden hat. Vielleicht aber ist es auch anders. Es geht in einer energiepolitischen Schlüsselsituation, bei der es auch um die Zukunft von Vahrenholts bisherigem Arbeitgeber RWE geht, um die gezielte Verbreitung von Unsicherheit, ob dieser schwierige Weg überhaupt sinnvoll ist. Denn Vahrenholt und Lüning nutzen für ihre These Theorien, die entweder widerlegt oder höchst umstritten oder wo die Fakten ungeklärt sind:

Es gibt keine gesicherte Datenlage über lange Zyklen der Sonnenaktivitäten, so dass die Daten unsicher sind. Das wird von den Autoren verschwiegen, nicht aber vom IPCC.

Das UV-Licht in der Sonnenstrahlung soll eine selektive Verstärkung für die Erwärmung haben. Wie jedoch die Wärme von dort auf die Erdoberfläche kommen soll, ist ungeklärt. Die Autoren erklären nichts.

Die Behauptung, dass kosmische Strahlungen, die sonst von der Sonnenaktivität abgeschirmt werden, die Wolkenbildung fördern und damit die Temperatur mitprägen, ist in den wissenschaftlichen Untersuchungen, zuletzt am europäischen Forschungszentrum in Cern, nicht bestätigt worden.

Sonnenzyklen beeinflussen den Klimawandel nur wenig

Die Klimaforscher weisen zudem darauf hin, dass. selbst wenn es ungeklärte Effekte gäbe, diese nicht so groß wären, dass die Klimaprognosen grundsätzlich revidiert werden müssten. Kurz: Sonnenzyklen beeinflussen den Klimawandel nur wenig. Das bestätigen auch drei neuere Studien:

Die University Boulder (Colorado), bestätigt auch durch Untersuchungen des Klimainstituts in Potsdam, veröffentlichte in der Fachzeitschrift Geophysical Research Letters, dass längere Abkühlphasen weniger durch geringere Sonnenaktivitäten, sondern durch irdische Prozesse (Freisetzung schwefelhaltigen Materials) ausgelöst wurden.

Der führende Klimaforscher der NASA und Direktor des renommierten Goddard Institute, James Hansen, weist in dem Wissenschaftsblatt Atmospheric Chemistry and Physics nach, dass die Erde in den letzten sechs Jahren deutlich mehr Wärme aufgenommen hat, obwohl die Sonneneinstrahlung sehr gering war. Er stützte sich dabei auf mehr als dreitausend Messbojen in den Ozeanen. Die Erde hat sich auch während eines Sonnenfleckenminimus weiter erwärmt. Hansen belegte, dass die Energie- und Temperaturbilanz erst dann wieder in ein Gleichgewicht käme, wenn die Kohlendioxid-Konzentration auf 350 ppm reduziert würde.

Der Britische Wetterdienst und die University of Reading haben berechnet, dass sich die Erde bis zum Jahr 2100 lediglich um 0,1 bis 0,3 Grad C abkühlen würde, wenn die Aktivität der Sonne die nächsten 90 Jahre ausbliebe. Die reduzierte Sonneneinstrahlung reichte keinesfalls dazu aus, den anthropogenen Treibhauseffekt, der vom IPCC auf eine wahrscheinliche Erwärmung um 2,5 Grad C prognostiziert wird, zu neutralisieren.

Verharmlosung als Mainstream

Noch einmal: Das IPCC arbeitet sehr intensiv im weltweiten Verbund führender Wissenschaftler mit zahlreichen Rückkoppelungsrunden und Diskursen. Dabei gibt es vier Hauptarbeitsgruppen, in denen weltweit zahlreiche Institute und unzählige Wissenschaftler – in Deutschland alle führenden Einrichtungen von Max-Planck über Helmholtz bis Leibniz – jahrelang beteiligt werden: wissenschaftliche Grundlagen, Auswirkungen und Anpassungsstrategien, die Möglichkeiten zur Bekämpfung, Synthesebericht und weitere Aufgaben.

Das, was dort zusammengetragen und intensiv beraten wird, soll, wie Vahrenholt und Lüning behaupten, „gefährliche Schwarz-weiß-Malerei“, „Simplifizierung“ und ein „defizitärer Konsensfindungsprozess“ sein. Dabei müssten sie doch genau wissen, wie sehr auf den IPCC-Beratungen vor allem die Delegationen großer Länder wie USA, China, Indien, Australien oder Brasilien, die aus harten eigenen wirtschaftlichen Interessen den anthropogenen Klimawandel möglichst klein halten wollen, kritische Wissenschaftler abgeblockt haben. Die Argumentation ist simpel und fällt, wer die Fakten kennt, auf die Autoren zurück: Abweichende Meinungen werden unterdrückt, faktisch einem Publikationsverbot unterworfen, mit Entzug von Forschungsmitteln bestraft. Tatsächlich war der Mainstream der politischen Delegationen in Paris (Februar 2007, Brüssel April 2007, Bangkok Mai 2007 und Valencia September 2007) nicht die Übertreibung, sondern die Verharmlosung.

Lobby-Arbeit statt Vernunft

Vahrenholt ist kein Aufklärer, er steht mit seinen Verschwörungsthesen in der Tradition, der Linie und den Interessen von RWE. Er unterstellt den Klimaschützern eine „Phobie gegen fossile Energieträger“ und vertritt einen Unternehmenspatriotismus, der durch die nun auch von der schwarz-gelben Bundesregierung zumindest verbal geforderte Energiewende wie nie zuvor gefährdet ist. Über eine Energiewende sind zweifellos intensive Debatten notwendig, denn nach wie vor ist unklar, wie sie erreicht werden soll. RWE, E.on, EnBW und Vattenfall kommt es entgegen, wenn krude Verschwörungstheorien ihnen mehr Zeit geben.

Bei Vahrenholt und Lüning geht es nicht um Wissenschaft und Vernunft. Damit werfen sie auch ein falsches Licht auf einen großen Teil der Mitarbeiter von RWE, die ihre Verschwörungsthesen nicht teilen. Doch offenkundig sind die Autoren in ihrer Medienvermarktung eng mit dem Springer-Verlag und leider auch mit dem Spiegel verbunden, wobei der noch vor einem Jahr RWE als zweitgrößten Kohlendioxid-Verursacher kritisiert hat.

Versündigung an der Zukunft

Natürlich muss sehr seriös gearbeitet werden, natürlich müssen alle berechtigten Hinweise geprüft werden, denn der anthropogene Klimawandel hat gewaltige Konsequenzen. Das IPCC geht auch vorsichtig vor, daraus ergeben sich bereits innere Spannungen, weil zahlreiche Forscher fürchten, das Gremium hätte eine Schere im Kopf. Dagegen ist offensichtlich, dass Vahrenholt und Lüning die Fakten selektieren, Tatsachen nicht zur Kenntnis nehmen und die IPCC-Arbeiten für ihre Argumentation verbiegen. Sie geben denen Auftrieb, die aus durchsichtigen wirtschaftlichen Interessen nicht handeln wollen. Sie versündigen sich an der Zukunft.

Vahrenholt und Lüning belegen ihre angeblichen Beweise mit den „Summarys for Policymakers“, die im Gegensatz zu den umfangreichen wissenschaftlichen Grundlagen und der Zusammenfassung der Fakten nicht von den IPCC-Wissenschaftlern verantwortet werden, sondern politisch beraten und beschlossen werden. Die dem 4. Sachstandsbericht des IPCC von 2007 zugrunde liegenden „Blauen Bibeln“ wurden von 1250 Wissenschaftler aus 120 Ländern erstellt, weiter waren über 2500 Experten als Gutachter beteiligt.

unhaltbare Behauptungen der Klimaleugner

Die Summarys sind dagegen kurze Texte bis zu 25 Seiten, die schon deshalb nicht ausreichend differenziert sein können. Aber dafür sind schließlich die wissenschaftlichen Grundlagen da. Vahrenholt und Lüning müssen sogar zugeben, dass die nicht vom Menschen verursachten Faktoren des Klimawandels in den umfangreichen Papieren des IPCC behandelt werden, aber sie argumentieren, dass sie nicht im Summary stehen. Nur müssen die Summarys von politischen Delegationen nach zähen Verhandlungen im Konsensprinzip verabschiedet werden.

Vahrenholt und Lüning behaupten, dass es seit 1998 in den erfassten letzten 12 Jahren keinen Temperaturanstieg gegeben hätte. Das ist eine häufige Behauptung der Klimaleugner, die aber nicht zu halten ist. Um das zu bewerten, brauchen wir eine längere Zeitreihe der globalen Mitteltemperatur. Abgesehen davon, dass mit Ausnahme des Jahres 2008 alle Jahre der letzten Dekade 2001 bis 2010 unter die wärmsten Jahre seit Beginn der instrumentellen Temperaturmessung fallen, geht es in der Klimaforschung nicht um kurzfristige Betrachtungen, sondern um einen Mittelwert aus 30 Jahren. Das ist ein zentraler Unterschied zwischen Wettererfassung und Klimaforschung.

1998 war kein Wendepunkt

Der letzte erfasste Zeitraum war von 1961 bis 1990. Meist wird dafür der Datensatz des NASA-Forschungszentrums genutzt. Zudem liefern auch die University East Anglia, der Britische Meteorologische Dienst und die US-Ozean-Atmosphärenbehörde entsprechende Messergebnisse, die im Ergebnis nur geringfügige Abweichungen aufzeigen. Danach ist der Trend eindeutig. Die Klimaleugner lügen sich in die eigene Tasche, wenn sie von einem Stillstand reden. Es gibt keinen plausiblen physikalischen Grund, 1998 als Wendepunkt zu bezeichnen. Es gab keinen Rückgang an CO2 und auch keine massenhaften Vulkanausbrüche und diese Gründe müssten auch noch zusammenkommen. 1998 war allerdings deshalb ein „extremes Jahr“, weil es zu einem besonders ausgeprägten El Nino-Effekt im Pazifik kam. Die letzte Dekade war die wärmste, die je registriert wurde - mit den besonders warmen Jahren 2005 und 2010.

Zudem haben die Klimaforscher ausführlich dargelegt, dass es immer wieder – auch bedingt durch die lange Anpassungsfrist des Klimasystems von rund fünf Jahrzehnten oder durch vulkanische Aktivitäten – zu „Stagnationsphasen“ kommt, ausführlich beschrieben z.B. von Mojib Latif. In der Klimaforschung ist unbestritten, dass es keine simple Linearität der Erderwärmung gibt, es geht um die langfristigen Trends.

kritiklose Übernahme von Theorien

Vahrenholt und Lüning greifen die schon oft widerlegte Behauptung auf, die Hockeygriff-Kurve, die für die Klimaänderungen der letzten Jahrzehnte steht, sei eine Fälschung. Tatsächlich gab es 1998 in der ersten Version der Berechnung der Temperaturen in den letzten Jahrhunderten statistische Defizite. Dennoch war auch sie, wie 2006 das National Research Council nach einer aufwendigen Überprüfung gezeigt hat, in der Grundtendenz richtig. Mehr als ein Dutzend Temperaturstudien haben das in der Zwischenzeit bestätigt.

Vahrenholt und Lüning übernehmen ohne Hinweis auf die massive Kritik an dieser Theorie die These des dänischen Sonnenforscher Hendrik Svensmark, nach der das Magnetfeld der Sonne die Erde mal mehr und mal weniger stark gegen die kosmische Teilchenstrahlung abschirmt. Das habe erheblichen Einfluss auf die Wolkenbildung, die wiederum eine wichtige Rolle bei der Temperaturbildung habe.

Die zahlreichen Fragen, die diese Theorie aufwirft (wie kann das sein, wenn sich in den letzten 60 Jahren keine Änderung in der kosmischen Strahlung festzustellen sei, sind die kosmischen Aerosolpartikel überhaupt groß genug, um eine solche Bedeutung zu haben, etc.?), werden von Vahrenholt und Lüning nicht einmal erwähnt.

Die geringen Änderungen beim CO2 sind entscheidend

Vahrenholt und Lüning behaupten, dass die Orientierung am Treibhausgas Kohlendioxid falsch sei. Wie die Klimaleugner spricht er von der „CO2-Lüge“. Sie relativieren die Bedeutung von CO2. Sein Ausstoß bilde nur zwei Prozent im natürlichen Kohlenstoffkreislauf. Von daher, so die Behauptung, könne seine Wirkung nur gering sein. Niemand bestreitet jedoch, dass es nur um geringe Mengen bei den Treibhausgasen geht, sie machen insgesamt auch nur einen Bruchteil in der Erdatmosphäre aus. Doch die geringen Änderungen sind entscheidend. Zu Beginn der industriellen Revolution lag die Konzentration bei 285 ppm. Heute liegt sie bei 388 ppm und steigt derzeit pro Jahr um 2 ppm.

Tatsächlich ist die Troposphäre, in der sich Dreiviertel der Luftmasse befindet und sich das Klima hauptsächlich bildet, nicht statisch und gleichförmig, sondern unterliegt permanenten Veränderungen. Verursacht wird diese Dynamik durch die Strahlungsbilanz, den Energiehaushalt, die chemische Zusammensetzung und die globalen Luftströmungen. Sie bringen viel Bewegung in das ansonsten träge Gemisch der Luftgase. Abgesehen von den variablen Beimischungen wie Wasserdampf, dessen Menge stark schwankt und nahe der Erdoberfläche bis zu zwei Prozent erreicht, besteht die uns bekannte Atmosphäre zu 99 Prozent aus molekularem Stickstoff, Sauerstoff, dem Edelgas Argon und den strahlungsintensiven Treibhausgasen wie Kohlendioxid, Methan (CH4) oder Distickstoffoxid (N2O).

Sie kommen vor bis in eine Höhe von 100 Kilometer oberhalb der Erdoberfläche in einem Volumenverhältnis von etwa 78 (Stickstoff) zu 21 (Sauerstoff), 1 (Argon) und 0,035 Treibhausgase. Zudem existieren eine größere Zahl anderer Spurengase, die trotz einer verschwindend geringen Konzentration von hoher Bedeutung sind, und die Wolken. Selbst geringfügige Veränderungen haben eine hohe Bedeutung für das Gesamtsystem. Die Zusammensetzung der Erdatmosphäre (vornehmlich der Troposphäre) und die Wechselwirkungen mit anderen Bereichen des klimatischen Geschehens (Ozean, Landflächen, Tier- und Pflanzenwelt sowie Eis- und Schneeschichten) prägen die Lebensbedingungen auf der Erde.

Die CO2-Konzentration war in den letzten 600 000 nie so hoch wie heute

Die Aussagen von Vahrenholt und Lüning unterschlagen, dass die Menschheit seit der industriellen Revolution deutliche Spuren in der Atmosphäre und den Ozeanen hinterlassen hat. Die Kohlendioxidmenge in der Lufthülle ist ein eindrucksvoller Hinweis, denn die Konzentration war in den letzten 600 000 Jahren nie so hoch wie heute. Aus der Paläoklimatologie wissen wir, dass CO2 (mit den anderen Treibhausgasen) parallel zur gemittelten Erwärmung der Erde steigt, bzw. sinkt. Zwar ist die Menge im Verhältnis zu Wasserdampf relativ gering, aber dennoch ist sie hauptverursachend für den trockenen Treibhauseffekt, der bisher entscheidend ist für den Temperaturanstieg.

Abgesehen davon, dass die IPCC-Berichte sich auch ausführlich mit dem Einfluss der Meeressysteme und der Sonne wie auch mit weiteren Faktoren wie dem Vulkanismus auf das Klimasystem beschäftigen, was Vahrenholt und Lüning nicht zur Kenntnis nehmen, so ist die Darstellung auch deshalb falsch, weil die Klimaberechnungen sowohl den trockenen wie den feuchten Treibhauseffekt behandeln. Auch das sehr wirksame Treibhausgas Wasserdampf wird behandelt – zum Beispiel in den Studien von Hermann Flohn, dem Nestor der deutschen Klimaforschung von der Universität Bonn.

Es gibt keinen Bereich, in dem so intensiv vernetzt gearbeitet wird wie in der Klimaforschung

Die Behauptung, die Wirkungen des Wasserdampfs würden ignoriert, ist also falsch. Auch die IPCC-Szenarien gehen nicht allein vom Anstieg der trockenen Treibhausgase und besonders des Leitgases CO2 aus. Einbezogen werden auch die Auswertung der Datenblätter aus der Wetterforschung, die Paläoklimatologie und die mit unterschiedlichen Annahmen gerechneten Klimasimulationsmodelle. Es gibt keinen Bereich, in dem so intensiv vernetzt gearbeitet wird wie in der Klimaforschung, nirgendwo gibt es soviel Öffentlichkeit und einen so starken weltweiten Austausch der Fakten.

Wenn Vahrenholt und Lüning nur halb so seriös arbeiten würden wie das IPCC, hätten sie dieses Buch nie zu Papier bringen können. Sie übernehmen die Argumentation der Klimaleugner, deren Informationen sie, wie zu lesen ist, auch nutzen. Für sie gibt es entweder keine Erwärmung der Erde oder sie ist nicht vom Menschen verursacht oder unschädlich.

Die Klimaleugner stellen ihre Behauptungen seit über 20 Jahren auf, obwohl sie schon häufig widerlegt wurden, und sie wollen die wissenschaftlichen Fakten über den anthropogenen Klimawandel nicht zur Kenntnis nehmen, die sich immer mehr erhärtet haben. Die Klimaleugner tragen mit dazu bei, dass der Klimaschutz nur langsam vorankommt. Die Medien sollten aufhören, sich zu Mitverantwortlichen einer Verunsicherung zu machen, für die künftige Generationen einen hohen Preis zahlen müssen. Tatsächlich besteht heute in der Fachwissenschaft ein breiter Konsens, dass der Mensch mit seinen Aktivitäten für den Klimawandel verantwortlich ist.

katastrophale Folgen der Verunsicherung

Dazu kommen natürlich auch Faktoren wie der Feuchtigkeitsgehalt in der Troposphäre, der Vulkanismus oder die Zahl und die Größe der Sonnenflecken. Entscheidend für die Klimaforschung ist jedoch, systematisch die langfristigen und übergreifenden Trends zu erfassen. Das ist etwas grundlegend anderes als die (Über-) Bewertung einzelner Ereignisse.

Im Übrigen hat der Deutsche Bundestag bei den Anhörungen der Klima-Enquete auch die Kritiker eingeladen wie z. B. den „führenden“ amerikanischen Klimawandelskeptiker Richard Lindzen vom amerikanischen MIT. Er konnte nicht überzeugen. Hinter den Behauptungen – erst: es gäbe keinen Klimawandel, dann: er sei nicht vom Menschen gemacht und schließlich: er fiele nicht problematisch aus – standen oft Auftragsstudien, die zum Beispiel von der Kohleindustrie finanziert wurden. Dabei tun sich häufig die konservativen Denkschulen wie das „American Enterprise Institute“ hervor. Die Folgen dieser Verunsicherung sind katastrophal. Die Leugner sind verantwortungslos.

Das Klima auf der Erde wird durch viele Faktoren beeinflusst. Aber seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kommt der größte Teil der globalen Erwärmung aus der steigenden atmosphärischen Treibhauskonzentration. Das ist der bestimmende Faktor der Erderwärmung.

Fritz Vahrenholt, Sebastian Lüning: Die kalte Sonne: Warum die Klimakatastrophe nicht stattfindet, Hoffmann und Campe 2012, 24,99 Euro, ISBN 978-3455502503

Autor*in
Michael Müller

war Sprecher der SPD in der Klima-Enquete des Deutschen Bundestages und ist Bundesvorsitzender der NaturFreunde.

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