Die Geschichte spielt in einem namenlosen Land, regiert von einem namenlosen Diktator. Durch einen Putsch wird der dieser, der immer nur der Präsident genannt wird, abgelöst von einem
Rebellenführer, dem "Kommandant". Zusammen mit dem Präsidenten werden auch sein Koch, sein Maler und sein Barbier verhaftet und gemeinsam in seiner früheren Sommerresidenz fernab der Hauptstadt
gefangen gehalten. Diese drei Hauptpersonen erzählen jeweils aus der Ich-Perspektive, wie sie den Putsch und ihre Gefangenschaft erleben und reflektieren über sich, ihre Verhältnis zum
Präsidenten und ihre Verwandten.
In einem zweiten Teil des Buchs kommen eben diese Verwandten zu Wort. Dadurch gewinnt das Buch an Dynamik: Bereits Gesagtes erscheint aus einer zweiten oder dritten Perspektive oft in einem
ganz anderen Licht. Auch durch einen Ortswechsel unterscheidet sich der zweite Teil vom ersten. Die Szenerie wird von der Sommerresidenz des Präsidenten in dessen Palais in der Hauptstadt
verlegt. Das Buch schließt mit einem kurzen dritten Teil, in dem die drei Hauptakteure sich noch einmal zu Wort melden.
Mitverantwortung...
Welche Verantwortung trägt das Umfeld eines Diktators an dessen Verbrechen? Diese Frage wirft Doveys Roman auf. Dabei geht es nicht um direkte Mitschuld. Der Koch, der Barbier und der Maler
sind nicht Täter im eigentlichen Sinne. Dennoch lässt sich eine gewisse Verantwortung durch ihre Teilhabe am Regime nicht leugnen. Der Maler etwa bekennt: "Ich weiß, dass Porträts Insignien der
Macht sind, dass jedes der vielen, die ich gemalt habe, die Stellung des Präsidenten ein klein wenig gestärkt hat."
Muss man einen Diktator töten, wenn man es kann? Auch diese Frage wirft der Roman auf. Der Koch hätte die Möglichkeit gehabt, den Präsidenten zu vergiften. Der Barbier ergriff ursprünglich
sogar seinen Beruf allein dafür, den Präsidenten beim Rasieren zu ermorden. Er wollte damit seinen toten Bruder, ein Opfer des Regimes, rächen. Dennoch konnte er die Tat nicht über sich bringen
und frisierte den Präsidenten täglich in dem Wissen um dessen Verbrechen.
...und Kontinuität
Das zweite große Thema des Buches ist die Kontinuität, die von einer Diktatur zur anderen herrscht. Schnell stellt sich heraus, dass der Kommandant seine Ideale bald vergisst und sich
ebenso in einen Diktator verwandelt, der sich kaum noch vom "Präsidenten" unterscheidet. Die Metamorphose vom Idealisten zum selbstverliebten Gewaltherrscher scheint abgeschlossen zu sein, als
der Kommandant im Präsidentenpalast das Schlafzimmer seines Vorgängers bezieht.
"Ich überlege, ob ein böser Mensch Böses in seinen Räumen zurücklässt, ob er Schlechtigkeit ausdünstet wie einen Gestank: Kann man sich damit anstecken wie mit einer Erkältung?", lässt die
Autorin einen ihrer Protagonisten fragen. Kontinuität zeigt sich auch in der Weiterbeschäftigung der drei Hauptpersonen. Schon zu Beginn Ihrer Gefangenschaft müssen sie ihre üblichen Aufgaben
auch für den neuen Herrn verrichten. Das neue Regime braucht sie, wie das alte sie gebraucht hat. Ihre Verstrickungen verlieren vor diesem Hintergrund an Bedeutung.
Was für den amerikanischen Leser einen gewissen Erkenntniswert hat, ist wohl für den Europäer, der in seinem kollektiven Gedächtnis die ein oder andere Diktatur findet, keine große
Überraschung: Im Umfeld von Diktatoren gibt es stets Menschen, die scheinbar normale Tätigkeiten ausüben, aber wegen ihrer Mitwisserschaft moralisch verantwortlich sind. Und wenn sie weiterhin
benötigt werden, überstehen sie auch einen Regimewechsel unbeschadet.
Der Schauplatz könnte überall sein
Trotzdem ist die Lektüre des Buchs auch im europäischen Kulturkreis interessant. Gerade der ständige Erzähler- und Perspektivwechsel macht das Buch lesenswert. Spannend ist auch
mitzuverfolgen, wie es der noch jungen Autorin gelingt, ein Land und ein Herrschaftssystem zu konzipieren, das sich schwer lokalisieren lässt. Regime, Gesellschaft und Sozialstruktur weisen
Elemente verschiedener Regionen auf.
"Der Koch, der Maler und der Barbier des Präsidenten" könnte in Südamerika, in Afrika aber genauso gut auch in Europa spielen. Das Mysterium um den Ort wird dadurch verstärkt, dass im Buch
keine Namen genannt werden. Identitäten werden nur über Funktionen und Verwandtschaftsverhältnisse konstruiert. Der Umfang istüberschaubar und vor allem gegen Ende weist das Buch einige
interessante Überraschungen auf.
Ceridwen Dovey: Der Koch, der Maler und der Barbier des Präsidenten, Verlag Luchterhand 2009, 224 Seiten, ISBN: 978-3-630-87309-1, 19,95 Euro