„Vanatoare“: Jagdszenen am Straßenstrich von Bukarest
Mit ihrem Film will Alexandra Balteanu ein Fenster zu einer Welt öffnen, die vielen fremd erscheinen dürfte. Schon zu Beginn setzt sie mit einer dokumentarischen Beiläufigkeit den entscheidenden Ton. Während Lidia telefoniert, greift sie sich eine Taube aus dem Schlag und trennt ihr den Kopf ab. Wenige Sekunden später landet der Vogel im Topf. Die junge Frau ist geistig völlig woanders, Geldsorgen plagen sie.
Alltag am Stadtrand von Bukarest
Das ist auch der Grund, warum die verheiratete Mutter von zwei Kindern ihren Körper verkauft. Unter der Brücke einer Schnellstraße am Stadtrand von Bukarest wartet sie auf Kunden. Auch Denisa und Vanessa verdingen sich auf dem Straßenstrich. Diese beiden Frauen plagen ganz eigene Sorgen: Denisa füttert ihren arbeitsscheuen Mann durch. Und Vanessa sucht per Anzeige einen ganz bestimmten Traummann.
Einen ganzen Tag lang begleitet der Film die Frauen in ihrem Alltag. Die Bilder dieser schäbigen Szenerie zwischen Betonpfeilern verströmen eine Kälte, dass es einen schüttelt. Zugleich gelingt Balteanu ein äußerst präziser wie lakonischer Blick auf ihre drei Protagonistinnen. Sexarbeiterinnen am Rande einer patriarchalischen Gesellschaft: In ihrem ersten Langfilm, der als Studienarbeit an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin entstanden ist, beschreibt die 35-Jährige ein Milieu, das in ihrem Geburtsland Rumänien völlig tabuisiert wird. Geraten diese Frauen in Not, machen ihnen andere brutalstmöglich ihre Rechtlosigkeit deutlich. Sei es es etwa, weil sich Krankenhausärzte weigern, sie zu behandeln. Balteanu macht für den Konservatismus die Orthodoxe Kirche und einen zunehmenden Einfluss der Türkei in dem südosteuropäischen Land verantwortlich.
Hoffnung bleibt
Als die Polizei unter der Brücke eintrifft, wird auch die prekäre Lage von Lidia, Denisa und Vanessa deutlich. Die Ordnungshüter geben vor, nichts als das Gesetz, das Prostitution nun einmal verbiete, durchzusetzen. Tatsächlich geht es ihnen darum, die Frauen abzukassieren und ihre Allmacht spüren zu lassen. Diese wehren sich anfangs noch mit provokanten Sprüchen und versuchen, einen Vorteil aus dem korrupten Vorgehen der Polizisten zu schlagen. Auf drastische Weise erfahren die drei allerdings, wer von ihnen am längeren Hebel sitzt. Doch ihren Trotz geben sie auch im Moment größter Demütigung nicht auf.
So bleibt in dieser trüben Stimmung immer auch ein bisschen Hoffnung. Überhaupt begegnen die Frauen den sie umgebenden Strukturen, die, von außen betrachtet, so be- und erdrückend wirken, mit Langmut. Sie haben sich mit den Verhältnissen arrangiert und nehmen es in Kauf, dass andere auf sie hinabsehen. Gleichzeitig sind sie alles andere als Opfer. Pragmatisch und selbstbewusst haben sie diesen Weg gewählt, um ihren Teil vom Kuchen zu ergattern. Gleichzeitig müssen sie aufpassen, nicht selbst gefressen zu werden. Zug um Zug offenbart sich die Bedeutung des Filmtitels, der sich auf Deutsch mit „Jagd“ übersetzen lässt.
Frauen aus „ganz normalen“ Familien
Balteanu verbindet mit diesem eindringlichen Film, der beim Max-Ophüls-Wettbewerb den Preis für die beste Regie bekam, keine bestimmte Botschaft, wenngleich das Thema für sich spricht. Inspiriert wurde die Regisseurin dazu, als sie zwei Monate lang in Bukarest eine Organisation begleitete, die Präventionsarbeit unter den Sexarbeiterinnen leistet. Viele dieser Frauen kommen aus „ganz normalen“ Familien und bessern heimlich die Haushaltskasse auf. So wie Lidia und die anderen. Deren Geschichte erschließt sich zunächst mit Mühe, weil die Dialoge bewusst kryptisch gehalten wurden und oftmals losgelöst von der Umgebung bleiben. Anstatt die Handlung im Sinne der Nachvollziehbarkeit übermäßig zu inszenieren, stößt Balteanu die Zuschauer ins kalte Wasser und überlässt es ihnen, Lidias Welt zu begreifen.
Info: „Vanatoare“ (Deutschland 2016), ein Film von Alexandra Balteanu, mit Corina Moise, Iulia Lumanare, Iulia Ciochina u.a., 75 Minuten, OmU. Jetzt im Kino