Von Arnd Zickgraf
Die Geschichte der Sozialdemokratie sei nicht denkbar ohne den Verlag J.H.W. Dietz Nachfolger, sagte sein Geschäftsführer Albrecht Koschützke, anlässlich der Feier zum 125-jährigen Bestehen
des Verlages im Foyer der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) am 14. Februar 2007 in Bonn. Der Verlag der Arbeiterbewegung verstand es, unter äußerst widrigen politischen Bedingungen zu überleben. Ohne
ihn wäre das politische Denken in anderen Bahnen verlaufen.
Arbeiterbewegung hat zivilisatorische Funktion
Auch Festredner, Peter Brandt, Professor für Neuere Geschichte an der Fernuniversität Hagen, ist dem Verlag persönlich verbunden. Der Historiker hielt einen Vortrag über die Entwicklung der
Schriftkultur von den Anfängen der Zivilisation bis zum Erwachen der Arbeiterbewegung.
"Rund 2 000 Jahre früher als in Mesopotamien haben Menschen in Südosteuropa bereits mit verschiedenen Schriftformen experimentiert", sagte Brandt. Nicht nur Angehörige herrschender Kreise
verständigten sich damals mit Schriftstücken. Es waren vielmehr einfache Menschen, Bauern. Nach heutigem Kenntnisstand datierten die ältesten Schriftstücke aus der Zeit um 5 000 Jahre vor Christus
und entstanden in einem klassenfreien Gemeinwesen, das durch Ackerbau geprägt war.
Die meiste Zeit in der Geschichte indes sei der Schriftgebrauch ein Kennzeichen für die Zugehörigkeit zur Elite. Erst mit der Erfindung des Buchdrucks durch Gutenberg, Mitte des 15.
Jahrhunderts, breitete sich die Schriftkultur allmählich auf breitere Schichten aus. In der Ära des Absolutismus und der Aufklärung dehnte sich Brandt zufolge die Schriftkultur auf untere
gesellschaftliche Schichten aus: unumkehrbar. Eine "Lesewut", die nicht von oben verordnet wurde, ergriff jetzt immer mehr Menschen, bemerkte Brandt. Erste Biographien von Proletariern entstanden
schon zum Ende des 18. Jahrhunderts in England. Die zivilisatorische Funktion der Arbeiterbewegung wurde unübersehbar.
22 Gesichter der Arbeiterbewegung
Im Anschluss an diesen Vortrag erläuterte der Bibliothekar der FES, Dr. Rüdiger Zimmermann, die Ausstellung zum Festtag. Sie stand unter dem Motto "Ein Verlag zeigt sein Gesicht". Im Jahre
1881, unter dem Joch des Sozialistengesetzes, hatte Verleger Johann Heinrich Wilhelm Dietz die verzwickte Aufgabe, die engen Spielräume auszuloten, die der Sozialdemokratie blieb, erläuterte
Zimmermann.
Ob Visionär der klassenlosen Gesellschaft oder Entdecker der deutschen Arbeiterbewegung, ob Revolutionärin oder Begründerin der Arbeiterwohlfahrt - 22 Autoren, 22 Gesichter der
Sozialdemokratie und des Sozialismus' wurden von Zimmermann und Mitarbeitern für die Ausstellung "Ein Verlag zeigt sein Gesicht" portraitiert. Zum historischen Gesicht des Verlages gehören etwa
Karl Marx und August Bebel, Rosa Luxemburg und Marie Juchacz, aber auch Herbert Wehner und Willy Brandt.
"Es wurde publiziert, was herrschende Meinung in der Partei war, aber auch abweichende Stimmen verschafften sich Gehör", stellte Rüdiger Zimmermann fest.
Themen für die Gesellschaft der Zukunft
Als die Nationalsozialisten erst die Straßen und dann die Parlamente in Besitz nahmen, geriet der Verlag J.H.W. Dietz ins Fadenkreuz der Staatspolizei und wurde schließlich 1934 gemeinsam mit
der SPD zerschlagen. Da hatte er bereits über 1.000 Buchtitel herausgegeben. Nach dem Zweiten Weltkrieg versuchte der SPD-Vorstand den Verlag 1946 wiederzubeleben. Doch die Verlagsrechte wurden nun
von der SED in Anspruch genommen, indem die SED-Zentrale einen "Strohmann" namens Karl Dietz als Gesellschafter einsetzte, so Zimmermann. Erst nach einem Rechtsstreit gingen 1956 die Rechte an
Buchtiteln und Namensrechte an den Verlag J. H.W. Dietz zurück. Schließlich verlagerte die FES den Verlag 1973 nach Bonn.
"Viel wird darauf ankommen, ob es gelingt, jene Themen herauszufinden, die für die und in der Bürgergesellschaft der Zukunft wichtig und bestimmend sein werden", blickte der frühere
Geschäftsführer des Verlages, Horst Heidermann, nach vorn.
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