Es war die rot-grüne Bundesregierung, die im Jahr 2001 ein Jahrtausende altes Tabu gebrochen hat: "Das älteste Gewerbe der Welt", die Prostitution, wurde legal. Sie sollte endlich aus ihrem
kriminellen Schmuddelmilieu geholt und erstmals in Deutschland gesetzlich geregelt werden. Seitdem haben Prostituierte einen gesetzlichen Anspruch auf Entlohnung ihrer sexuellen Dienstleistungen.
Den Lohn können sie auch einklagen können. Auch gibt es seitdem eine Sozial- und Krankenversicherungspflicht der Sexarbeiter.
Ziel des rot-grünen Gesetzes ist es, die Lebenssituation von Prostituierten zu verbessern. Ihrer Ausbeutung und Kriminalisierung soll ein Riegel vorgeschoben werden. Und es sollen die im
Umfeld des Rotlichtmilieus begangenen Straftaten bekämpft werden, wie Menschenhandel und Zwangsprostitution. Über diese Themen wird in den Medien viel berichtet. Doch um eines, geht es dabei fast
nie: um männliche Prostituierte.
Cem Yildiz (31) hat 13 Jahre lang in diesem Business gearbeitet. Mit nur 18 Jahren wurde er zum Callboy, wurde sein Körper zur Ware, die er ab 100 Euro anbot. Seine Kunden waren vor allem
Männer. Nicht unter Zwang oder in der Not, sondern freiwillig entschied er sich für diesen Beruf. Das schnelle Geld, aber auch der Spaß am Sex, lockten ihn.
"Wir fallen aus jedem Raster. Auch weil es uns männliche Sexarbeiter eigentlich gar nicht gibt, zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung", sagt Cem Yildiz. "Ganz im Gegensatz zu den
Kolleginnen, die in regelmäßigen Abstand Auskunft im Fernsehen geben dürfen." Umso bemerkenswerter, wie direkt und offen Yildiz die tabuisierte männliche Prostitution zeigt.
Der Autor entführt den Leser in eine aufregende, mitunter bizarre Welt. Mit seinen freizügigen und detaillierten Schilderungen zeichnet er ein sehr exaktes, manchmal auch verstörendes
Bild. Mal geht es den Kunden um Nähe und Geborgenheit, um ein kleines bisschen Zärtlichkeit, um jemanden zum Zuhören und Reden, meist jedoch geht es um schnellen Sex, um Nervenkitzel und
Erniedrigung - bis zur perfekt inszenierten brutalen Vergewaltigung in einer Tiefgarage.
Neben Sexualität geht es in diesem Buch immer auch um Macht. Da ist die Macht des Geldes, für die der Callboy Dinge tut, die er freiwillig mit keinem seiner Kunden tun würde. Geld, das den
Freiern einen jungen und gut gebauten Körper verfügbar macht, der für sie sonst unerreichbar wäre.
Es geht aber auch um die Lust an der Macht. Viele Kunden von Cem Yildiz zahlen für die sexuelle Begegnung mit einem türkischen Macho, für die Erfahrung harter und brutaler Männlichkeit,
ein Klischee, aber wenigstens für ein paar Momente scheint aus der Phantasie Wirklichkeit zu werden. Das Bizarre dabei: Ausgerechnet schwule Männer, die immer öfter Opfer von Gewalttaten junger
Migranten werden, zahlen dafür, um von einem solchen Migranten gedemütigt und sexuell benutzt zu werden. Wer ist hier Täter, wer ist hier Opfer?
Als Opfer jedenfalls sieht sich Cem Yildiz nicht. Das passt weder zu einem Selbstbild und zu seiner Auffassung von natürlicher Männlichkeit, noch zu seinem selbst gewählten Leben selbst
bestimmter Sexarbeiter.
Cem Yildiz: Fucking Germany. 1 Auflage, Westend-Verlag, ISBN 978-3-938060-39-1, 19,95 Euro