Kultur

Unter Kötern

von ohne Autor · 13. Juli 2012

Wie lebt es sich am Rand Europas, noch dazu am Rand der Gesellschaft? Schonungslos beschreibt Regisseur Bogdan George Apetri in seinem Spielfilm-Debüt das, was der organisierte Nihilismus in den Menschen hinterlässt – und wohin er sie treibt.        

Wenig schmeichelhaft ist Apetris Bild vom heutigen Rumänien. Doch geht es ihm weniger um politische Ränkespiele zwischen Regierung und Präsident als um die Schattenseiten einer sogenannten Transformationsgesellschaft: mafiöse Ellbogenstrukturen, Auflösung sozialer Beziehungen und weitere Varianten der Verwahrlosung – was wiederum irgendwie auch mit Politik zu tun hat.

„Periferic“ ist kein Sozialdrama im klassischen Sinne, auch wenn es den Stoff dafür hergeben würde. Der kritische Blick auf die fadenscheinigen Seiten der Hauptstadt Bukarest ist unübersehbar. Doch eigentlich schaut der Film nach innen: in den Kern jener schillernden Figuren, wie man sie – je nachdem – in all ihrer Selbstbehauptungskraft oder Widerwärtigkeit selten erlebt hat. In dem Drama, das sich zwischen Matilda und Paul zuspitzt, wird auch dieser  Gegensatz auf die Spitze getrieben. Mag sein, dass sich der noch das Privateste erfassende Kontext so schnell nichts ändert, doch es ist niemals zu spät, sich selbst zu besinnen. Auch das zeigt diese Geschichte.

Narben fürs Leben

Ein Blick ins Gesicht von Matilda (überragend: Ana Ularu) genügt, um die Anstrengung und die Verletzungen zu erkennen , die ihr dieses Leben abverlangt. Jeder schlägt sich in einem undurchschaubaren Geflecht der Verdorbenheit irgendwie durch Wer sich mit den richtigen Leuten gut stellt, macht ein kleines Vermögen. Wer von ihnen übervorteilt wird, landet im Knast. So wie Matilda. Zwei Jahre hat sie abgesessen. An ihrem ersten Tag Hafturlaub beschließt sie, mit dem Schiff ins Ausland zu fliehen.

Doch vorher muss sie sich ein letztes Mal, wie sie hofft, mit Paul abgeben, will sie nicht mit leeren Händen dastehen – von ihrer Familie, genauer gesagt: von ihrem Bruder – kann sie allenfalls Moralpredigten erwarten. Und von dessen Frau, die sich schwer zu durchschauende Gestalten wie Matilda infrage gestellt fühlt, nichts als Feindseligkeit.

Türsteher-Manieren­

Gegensätzlicher könnte dieses Albtraumpaar nicht sein: Die abgemagerte, zu einem neuen Leben entschlossene Matilda mit der stoischen Wut im verhärmten Gesicht. Und der untersetzte Paul mit den Augen eines Straßenköters und den Umgangsformen eines Türstehers, inklusive einer Überdosis Testosteron. Und doch verbindet sie vieles.

Einst ging Matilda für Paul ins Gefängnis, damit dieser die Beute von irgendeiner krummen Tour sicher verwahrt. Obendrein haben sie einen gemeinsamen Sohn, von dem fast niemand etwas weiß. Wie denn auch: Paul hat Toma ins Waisenhaus abgeschoben.

Nicht nur für ihre Flucht, sondern auch dafür, sich vorher all das, was ihr zusteht, zu holen, würde Matilda alles tun. Sich vor Paul zu erniedrigen, um an ihr Geld zu kommen, kostet sie ein Unmaß an Überwindung. Irgendwann ist auch dieses Maß voll. Pauls Ende ist ihre Rache. Doch den ebenso traumatisierten wie durchtriebenen Toma wieder für sich zu gewinnen, wird die weitaus größere Hypothek für das Unternehmen Flucht, das sie so akribisch vorbereitet hat.

Getrieben und verschwitzt

Dieses Drama, das für ein ganzes Leben reichen würde, aber nur einen Tag umfasst, spult „Periferic“ in unglaublicher Intensität ab. Irgendwann fühlt sich der Zuschauer genauso getrieben und verschwitzt wie Matilda. Jeder ist schon bis zum Überdruss den endlosen Gang des Häftlings zur erlösenden Toröffnung im Kino mitgegangen. Doch bereits in dieser frühen Szene zieht einen die trotzige junge Frau in ihren Bann. Bis sie endlich das Meer erreicht, wird sich daran nichts ändern.

Unabhängig vom Ausgang des Films unterstreicht dieser Kontrast zur Anfangssequenz Matildas Triumph, den man so lange herbeigesehnt hat. Dass einen „Periferic“ so rasch und so konstant emotional packt, liegt nicht zuletzt an den starken Figuren. Zunächst scheinen sie klassischen Mustern zu folgen, doch zunehmend kehren sie, wie auch die Protagonistin, ihre Untiefen nach außen. Das sorgt immer wieder für unerwartete Wendungen.

Auch die angenehm karge Ästhetik packt einen sofort: Mit der Handkamera fast permanent an den fiebrigen Gesichtern klebend, kann man den Schweiß dieses rumänischen Sommers fast riechen. Da das Ganze zudem gänzlich ohne Musik, Großaufnahmen oder eine experimentelle Bildsprache  auskommt, liegt es an den exzellenten, von einer Konfrontation in die nächste stolpernden Darstellern, die Stimmung am Kochen zu halten – die Rechnung geht beeindruckend radikal auf.

Info:

„Periferic“ (Rumänien/ Österreich 2010), Regie und Drehbbuch: Bogdan George Apetri, mit Ana Ularu, Andrei Vasluianu, Mimi Branescu u.a., OmU, 87 Minuten.

Ab sofort im Kino

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