Mit seinem neuesten Werk "Unerhörte Freiheit. Arbeit und Bildung in Zukunft" führt Engler, Soziologe, Autor und Rektor der Schauspielschule "Ernst Busch" in Berlin, seine bereits zwei Jahre
zuvor in "Bürger, ohne Arbeit" ausgeführten Gedanken zum Grundeinkommen fort und verknüpft es mit dem Thema Bildung. Denn beides, Grundeinkommen und Bildung, sind für ihn zentrale Faktoren
freiheitlicher Selbstbestimmung und Grundlage einer demokratischen Gesellschaftskultur: Das Grundeinkommen garantiere die ökonomische Freiheit.
Freiheit und Freiheitsfähigkeit
Zugleich sei Bildung der Schlüssel zum Erwerb der Fähigkeiten, das Leben im Rahmen dieser neu erlang-ten Freiheit erfolgreich zu meistern. Den Befürwortern eines gänzlich bedingungslosen
Grundeinkommens, die aus der resultierenden ökonomischen Freiheit quasi automatisch ein besseres und selbstbestimmtes Leben für alle ableiten, stellt Engler damit seine Dialektik von Freiheit und
Freiheitsfähigkeit entgegen. Mit seiner modifizierten Theorie des vormals bedin-gungslosen Grundeinkommens wolle er die Utopie ihrer Realisierung einen Schritt näher bringen, erklärte der Soziologe
bei einer Lesung seines Buches in der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Berlin. Die Gesellschaft der Zukunft sei in der Pflicht, sowohl die notwendigen Bil-dungsangebote, als auch die finanziellen
Grundlagen für ein vom Zwang der Erwerbsarbeit befreites Leben zu bieten.
Überwindung der Arbeitsreligion
Doch die Realität sieht gänzlich anders aus: Trotz des dauerhaften Ausschlusses eines beacht-lichen Teils der Bevölkerung von der klassischen Arbeitswelt setzt die Politik weiterhin auf
Erwerbsarbeit als zentrales Moment gesellschaftlicher Integration. Dabei gilt der Leitsatz: Arbeiten ist erste Bürgerpflicht! So werden Arbeitslose unter Androhung von Sanktionen da-zu
verpflichtet, jede Arbeit anzunehmen, auch wenn sie mit ihren persönlichen Bedürfnissen und Interessen nicht übereinstimmt. Zudem ist auch die Bildung vorrangig dem Ziel der Er-werbsarbeit
verpflichtet. Engler sieht in der Philosophie, die soziale Einbindung allein über Erwerbsarbeit erreichen zu wollen, einen verhängnisvollen Irrweg. Er konstatiert eine regel-rechte Arbeitsreligion,
die es zu überwinden gelte.
Grundeinkommen und Bildung zur Freiheit würden diese Verhältnisse radikal verändern, so Englers Vision. Die neu entstehende Vielfalt der Möglichkeiten gesellschaftlicher Teilhabe würde
Arbeitslosenzahlen irrelevant machen und der Stigmatisierung von Erwerbslosen als Faulpelze und Schmarotzer ein Ende setzen, ist er sich sicher. "Das Recht auf einen gesicher-ten Lebensunterhalt
auch ohne Arbeit könnte der vorläufige Schlussstein der Entwicklung der sozialen Bürgerrechte sein", resümierte der Autor.
Realitätsferne Utopie
Englers provokante Thesen bereichern die aktuelle Debatte über die Zukunft des Sozialstaa-tes. Wie weit sie über ein idealistisches Wunschdenken hinausreichen, bleibt aber zweifelhaft: Nach
der Finanzierbarkeit des Grundeinkommens gefragt, verweist der Autor lediglich auf das Vorgängerwerk "Bürger, ohne Arbeit". Zudem wirft die von Engler der ökonomischen Freiheit vorausgestellte
Bildungsprämisse neue Probleme auf: Kann das derzeitige Bildungs-system, dem Englerschen Anspruch der Erziehung zur Freiheit gerecht werden? Und wäre nicht der Zugang zur Bildung eine neue Hürde,
die jene aus der Gesellschaft ausschließt, de-ren Chancen auf eine sinnvolle und würdige soziale Teilhabe am geringsten sind? Es bleiben Fragen offen, die zeigen, dass Englers Utopie der unerhörten
Freiheit von ihrer praktischen Umsetzung noch weit entfernt scheint.
Tobias Quast
Wolfgang Engler: Unerhörte Freiheit. Arbeit und Bildung in Zukunft; Aufbau-Verlag, 2007; 16,95 Euro; ISBN 978-3-351-02656-1
hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.