Kultur

Unerhört frei…

von Vera Rosigkeit · 31. Januar 2008
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Mit seinem neuesten Werk "Unerhörte Freiheit. Arbeit und Bildung in Zukunft" führt Engler, Soziologe, Autor und Rektor der Schauspielschule "Ernst Busch" in Berlin, seine bereits zwei Jahre zuvor in "Bürger, ohne Arbeit" ausgeführten Gedanken zum Grundeinkommen fort und verknüpft es mit dem Thema Bildung. Denn beides, Grundeinkommen und Bildung, sind für ihn zentrale Faktoren freiheitlicher Selbstbestimmung und Grundlage einer demokratischen Gesellschaftskultur: Das Grundeinkommen garantiere die ökonomische Freiheit.

Freiheit und Freiheitsfähigkeit

Zugleich sei Bildung der Schlüssel zum Erwerb der Fähigkeiten, das Leben im Rahmen dieser neu erlang-ten Freiheit erfolgreich zu meistern. Den Befürwortern eines gänzlich bedingungslosen Grundeinkommens, die aus der resultierenden ökonomischen Freiheit quasi automatisch ein besseres und selbstbestimmtes Leben für alle ableiten, stellt Engler damit seine Dialektik von Freiheit und Freiheitsfähigkeit entgegen. Mit seiner modifizierten Theorie des vormals bedin-gungslosen Grundeinkommens wolle er die Utopie ihrer Realisierung einen Schritt näher bringen, erklärte der Soziologe bei einer Lesung seines Buches in der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Berlin. Die Gesellschaft der Zukunft sei in der Pflicht, sowohl die notwendigen Bil-dungsangebote, als auch die finanziellen Grundlagen für ein vom Zwang der Erwerbsarbeit befreites Leben zu bieten.

Überwindung der Arbeitsreligion

Doch die Realität sieht gänzlich anders aus: Trotz des dauerhaften Ausschlusses eines beacht-lichen Teils der Bevölkerung von der klassischen Arbeitswelt setzt die Politik weiterhin auf Erwerbsarbeit als zentrales Moment gesellschaftlicher Integration. Dabei gilt der Leitsatz: Arbeiten ist erste Bürgerpflicht! So werden Arbeitslose unter Androhung von Sanktionen da-zu verpflichtet, jede Arbeit anzunehmen, auch wenn sie mit ihren persönlichen Bedürfnissen und Interessen nicht übereinstimmt. Zudem ist auch die Bildung vorrangig dem Ziel der Er-werbsarbeit verpflichtet. Engler sieht in der Philosophie, die soziale Einbindung allein über Erwerbsarbeit erreichen zu wollen, einen verhängnisvollen Irrweg. Er konstatiert eine regel-rechte Arbeitsreligion, die es zu überwinden gelte.

Grundeinkommen und Bildung zur Freiheit würden diese Verhältnisse radikal verändern, so Englers Vision. Die neu entstehende Vielfalt der Möglichkeiten gesellschaftlicher Teilhabe würde Arbeitslosenzahlen irrelevant machen und der Stigmatisierung von Erwerbslosen als Faulpelze und Schmarotzer ein Ende setzen, ist er sich sicher. "Das Recht auf einen gesicher-ten Lebensunterhalt auch ohne Arbeit könnte der vorläufige Schlussstein der Entwicklung der sozialen Bürgerrechte sein", resümierte der Autor.

Realitätsferne Utopie

Englers provokante Thesen bereichern die aktuelle Debatte über die Zukunft des Sozialstaa-tes. Wie weit sie über ein idealistisches Wunschdenken hinausreichen, bleibt aber zweifelhaft: Nach der Finanzierbarkeit des Grundeinkommens gefragt, verweist der Autor lediglich auf das Vorgängerwerk "Bürger, ohne Arbeit". Zudem wirft die von Engler der ökonomischen Freiheit vorausgestellte Bildungsprämisse neue Probleme auf: Kann das derzeitige Bildungs-system, dem Englerschen Anspruch der Erziehung zur Freiheit gerecht werden? Und wäre nicht der Zugang zur Bildung eine neue Hürde, die jene aus der Gesellschaft ausschließt, de-ren Chancen auf eine sinnvolle und würdige soziale Teilhabe am geringsten sind? Es bleiben Fragen offen, die zeigen, dass Englers Utopie der unerhörten Freiheit von ihrer praktischen Umsetzung noch weit entfernt scheint.

Tobias Quast

Wolfgang Engler: Unerhörte Freiheit. Arbeit und Bildung in Zukunft; Aufbau-Verlag, 2007; 16,95 Euro; ISBN 978-3-351-02656-1

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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