Kultur

Und es war Sommer

„Westwind“ erinnert daran, dass nicht alle DDR-Flüchtlinge Systemgegner waren. Viele suchten das private Glück, so wie die 17-jährige Doreen nachdem sie ihrer ersten großen Liebe begegnet ist.
von ohne Autor · 24. August 2011
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So erstaunt gerade der Mut von Menschen wie Doreen, für ein neues Leben alles aufs Spiel zu setzen. Je mehr der SED-Staat in der Erinnerung verblasst, desto konsequenter lässt sich dieser Kontext als Bühne für eine nach innen gerichtete Erzählung verwenden, die komplexe Individuen entschlüsselt, anstatt die gewohnten Betrachtungen zu Anpassung oder Widerstand zu betonen.

Derlei Erwartungen weckt "Westwind". Es ist die Geschichte zweier Schwestern aus der DDR. Eine Reise nach Ungarn soll Isabel und Doreen auf eine Karriere als Sportkader einschwören - doch verkappte Sehnsüchte und jugendliche Leidenschaft lassen jede Vorbestimmung vergessen. Die Handlung beruht auf den Erinnerungen von Koautorin und Produzentin Susann Schimk und ihrer Zwillingsschwester Doreen. Letztere flüchtete im Sommer 1988 von Ungarn in die Bundesrepublik. Ein Jahr später, im Zeichen der Massenausreisen über die Bonner Botschaft in Prag, folgte Susann Schimk ihrer Schwester in den Westen.

Mauerfall in weiter Ferne

All das liegt jenseits ihrer Vorstellungsktaft, als sich Isabel und Doreen im Jahr vor dem Mauerfall erstmals ins sozialistische Ausland aufmachen - es ist ihre Belohnung für die gewonnene Bezirksmeisterschaft. Zunächst schwingen die 17-Jährigen mit eiserner Disziplin Ruder und Hanteln im Pionierlager am Balaton - schließlich winkt ein privilegiertes Leben in der "Hauptstadt der DDR", wo sie künftig für einen prestigeträchtigen Ruderclub starten sollen.

Von Anfang an liegt ein trügerischer Schatten über dem Trainingslager. Der West-Virus, der, so scheint es, Doreen lange zuvor beim Hören nichtsozialistischer Popmusik befallen hat, bricht nun voll aus: Schuld sind zwei Hamburger Jungs, die die Mädchen im Käfer mitnehmen. Besser gesagt: einer von ihnen. Man sieht sich wieder und - schwupps! - hat sich Doreen in Arne verliebt. Der macht ihr ein pragmatisch formuliertes Angebot, das an Wahnwitz grenzt: "Warum kommst du nicht einfach mit nach Hamburg? Dann können wir uns sehen, wann wir wollen!" Langsam, aber unerschütterlich lässt sich Doreen auf die Sache ein - doch Isabel will zurück nach Hause. Für die beiden Schwestern gerät die Welt aus den Fugen. Welche Konflikte gehen in Menschen vor, die nicht nur aus einem Staat, sondern auch aus ihrem bisherigen Leben flüchten, um ihrem Glück zu folgen? Sind solche Kategorien für eine Heranwachsende, die ihrer ersten großen Liebe begegnet, überhaupt von Bedeutung?

Schwärmerei am Abgrund

"Westwind" gibt darauf allenfalls kryptische Antworten, selbst wenn man den Ansatz von Regie und Drehbuch berücksichtigt, die Handlung ganz bewusst nicht mit dem großen Ganzen zu überfrachten - es muss ja nicht immer gleich ein handfester Systemkonflikt sein! Allzu schnell dreht sich das Karussell der Schwärmerei schicksalhaft in eine Richtung, symbolisiert durch Doreens schmachtendes Lächeln, das Arne unablässig zuteil wird - das Drumherum verkommt fast zur Kulisse.

Einen dramatischen Einbruch im Leben der eigenen Familie zu verfilmen, verpflichtet rein ästhetisch zu gar nichts, zumal die Regie in anderen, preisgekrönten Händen von Robert Thalheim ("Am Ende kommen Touristen") lag. Und doch überrascht es, wie uninspiriert "Westwind" geraten ist - sind bei Susann Schimk sowohl Emotionalität als auch "professioneller Abstand" aus dem Ruder gelaufen, als es darum ging, gemeinsam den Stoff zu entwickeln? In einem Interview hat sie gesagt, sie habe einen "richtig guten deutschen Liebesfilm" erzählen wollen. Angesichts dieser Selbsteinschätzung ist es ein Verdienst, dass das Ergebnis mit angezogener Kitschbremse fährt - es sei denn, man stört sich an verträumten Diskonächten oder stimmungsvollen Sonnenuntergängen im Ferienparadies.

Gebrochene Klischees

Immerhin gelingt es Hauptdarstellerin Luise Heyer (Isabel) mit ihrem ausdrucksstarken Spiel den klischeehaften Widerspruch zwischen Abenteuerlust (Doreen) und Sicherheitsbedürfnis (Isabel) zu durchbrechen: Sie lässt ihren Panzer gegenüber "West-Kontakten" stückchenweise bröckeln, ohne sich von ihrem bisherigen Leben komplett zu verabschieden - die Qual dieses Spagats schwingt immer mit.

Doch auch jene Leistung täuscht nicht darüber hinweg, dass "Westwind" trotz der erkennbaren Mühe um sensible Figurenzeichnung und stimmiges Flair mehr mit vordergründigen Stoffen der Marke "La Boum - Die Fete" als mit einem starken (Liebes-)Drama um Flucht und Identitätskrisen gemein hat.

Schade!

Info

Westwind (Deutschland/ Ungarn 2011), Regie: Robert Thalheim, Drehbuch: Ilja Haller/ Susann Schimk, mit Luise Heyer, Friederike Becht, Franz Dinda, Volker Bruch, 90 Minuten, ab 6 Jahre.

 

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