Und der Buchpreis geht an...
Petra Gass / Börsenverein
Mit Listen ist das so eine Sache: Sie wirken schon allein aufgrund ihrer Form rational, seriös. Trotzdem sind Listen hochemotional, geben sie doch vor zu ordnen, was sich vielleicht gar nicht ordnen lässt. Das gilt insbesondere für die Shortlist des Deutschen Buchpreises. Der wird seit 2005 vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels am Vorabend der Frankfurter Buchmesse vergeben, und zwar an den besten Roman des Jahres in deutscher Sprache. Die Shortlist hat so die undankbare Aufgabe, aus einer Fülle preiswürdiger Bücher und Autoren sechs zu destillieren, Trends zu erkennen und zu setzen – die Diskussion über die Auswahl ist mittlerweile nahezu ebenso wichtig wie die Preisvergabe selbst.
Im engsten Sinne keine Romane
Auch in diesem Jahr ist die Kritik sich vor allem in einem einig: darin, dass sie sich nicht einig ist. Immerhin: Allgemeine Verblüffung herrscht angesichts der Tatsache, dass drei der Finalisten nicht das sind, was man im engsten Sinne als „Roman“ bezeichnen würde. Eva Schmidts „Ein langes Jahr“ (Verlag „Jung und Jung“) erinnert eher an einen lockeren, erzählerischen Reigen – auch wenn gemeinsame Protagonisten das Ganze zusammenhalten. Der Österreicherin Schmidt gelingt mit der Platzierung auf der Shortlist ein erfolgreiches Comeback – sie hat seit 20 Jahren nichts mehr publiziert.
Thomas Melle setzt sich in „Die Welt im Rücken“ (Rowohlt Berlin) in schmerzhafter Klarheit mit seiner manisch-depressiven Erkrankung auseinander. Aber ist der Text nicht doch eher Erfahrungsbericht als Roman? In der Vergangenheit zumindest schafften es ähnliche Werke nicht auf die Shortlist. Bodo Kirchhoff wiederum versieht sein schmales Buch „Widerfahrnis“ (Frankfurter Verlagsanstalt) über eine Zufallsbekanntschaft und die gemeinsame Reise nach Italien mit dem Zusatz „Eine Novelle“.
Die Jungen und ihre wilde Sprache
Die anderen drei Finalisten hingegen fügen sich anstandslos in das Roman-Schema. Der 1986 geborene Philipp Winkler ist der jüngste Nominierte. Er zeichnet in „Hool“ (Aufbau Verlag) das Porträt eines jungen Hannoveraner Hooligans – die authentische Brutalität der Sprache wurde von der Kritik gelobt, der Kontrast dieser Sprache zu poetisch anmutenden Stellen des Buches kritisiert.
Der ebenfalls noch sehr junge Reinhard Kaiser-Mühlecker (Jahrgang 1982), neben Schmidt der zweite österreichische Vertreter auf der Shortlist, perfektioniert in „Fremde Seele, dunkler Wald“ (S. Fischer) weiter die Kunst des traditionellen, doch vielschichtigen Dorfromans – ein Thema, dem sich sonst nur meist deutlich ältere Schriftsteller widmen. André Kubiczek teilt in „Skizze eines Sommers“ (Rowohlt Berlin) Jugenderinnerungen aus grenznahen Potsdamer Parks in den 1980ern.
2016 mag man es traditionell
Wirklich aufregend ist die diesjährige Auswahl nicht. Vielleicht war die Vergabe des Buchpreises 2015 an Frank Witzel („Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969“) der Aufregung genug – Witzels Buch verweigert sich traditionellen Erzählstrukturen und glänzt mit „formalem Wagemut“, wie es auf der Webseite des Buchpreises heißt.
2016 mag man es offenbar lieber traditionell. Einzige Ausnahme: Thomas Melles „Die Welt im Rücken“. Ob auch sein „formaler Wagemut“ belohnt wird, zeigt sich am 17. Oktober.
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