Von Susanne Dohrn
Dieses Buch öffnet die Augen und weitet den Blick. Denn Hand aufs Herz, was wissen wir schon von der islamischen Welt? Charlotte Wiedemann ist eine Kennerin. Viele Jahre lebte sie in
Malaysia, arbeitete für "TAZ","Stern", "Die Woche". Derzeit schreibt sie für "Die Zeit". Ihre Reisen und Reportagen führten und führen sie vorrangig in muslimische Länder. Darüber hat sie nun ein
Buch geschrieben. Es heißt: "Ihr wisst nichts über uns!" Meine Reisen durch einen unbekannten Islam. Frauen stehen bei diesen Reportagen im Mittelpunkt. Frauen, die ihren eigenen Weg gehen und das
ganz anders tun als Frauen im Westen.
Rasante Veränderungen
Da ist Hanadi Zakarya Hindi, Saudi Arabiens erste Pilotin. In einem Land, in dem Frauen kein Auto steuern dürfen, Frauen ohne schriftliches Einverständnis ihres Vaters oder Ehemannes das Land
nicht verlassen, ja nicht einmal eine Operation vornehmen lassen dürfen, steuert sie ein Flugzeug. Wie kann das sein? "Ich liebt das Fliegen. Andere Frauen werden mir folgen. Und die Zukunft wird
viele Veränderungen bringen, in sha' allah", sagt sie. Die Zahlen geben ihr Recht. An fünf von acht Universitäten des Landes stellen Studentinnen bereits eine knappe Mehrheit. 60 Prozent aller
saudischen Professoren sind weiblich. "Saudi-Arabien, das uns so statisch erscheint, verändert sich für seine Bewohner so rasant, dass manchem schwindelt", schreibt Charlotte Wiedemann.
Islamische Feministinnen
Auch manchem Leser und mancher Leserin mag es schwindeln. Ist der Islam denn nicht rückständig? Unterdrückt er denn nicht Frauen? Geht das überhaupt, als Frau religiös sein und dennoch
emanzipiert? Es ist der große Vorzug von Charlotte Wiedemanns Buch, dass sie genau diese Schnittstelle unter die Lupe nimmt, sei es im Iran, in der Türkei oder in Pakistan. Ja, es gibt islamische
Feministinnen; ja es gibt emanzipierte Frauen, die ein Kopftuch tragen; ja das Leben ist hart, manchmal sehr hart und brutal für die Frauen. Sie müssen unvorstellbare Gegensätze aushalten.
Dumpfeste Unterdrückung und vorbildliche Institutionen zur Bekämpfung der Unterdrückung können durchaus nebeneinander bestehen.
Und manchmal, wenn sich die Praxis des Lebens und die Anforderungen einer traditionellen Gesellschaft zu sehr voneinander entfernt haben, hilft "Golduzi", Blumensticken. Für 250 Euro macht
ein Arzt eine Frau wieder zur Jungfrau - im Iran, wo die Geistlichen das Sagen haben. Eine Iranerin erzählt, sie bete nur, wenn niemand zusieht. Weil die Mullahs den Glauben desavouiert haben, wo
der Turban in den Augen der Bevölkerung für Korruption und Doppelzüngigkeit steht. Die nigerianische Anwältin Fatima Idris formuliert es so: "Nicht die Scharia (das Gesetz des Islam, d. Red.)
sondern die patriarchalische Tradition ist der Feind der Frauen."
Charlotte Wiedemann beschreibt eine große Bandbreite von Möglichkeiten, damit umzugehen, sich zu widersetzen - wohl informiert, mit präziser Sprache und ohne westlichen Hochmut.
Charlotte Wiedemann, "Ihr wisst nichts über uns!" Meine Reisen durch einen unbekannten Islam, Herder Verlag Freiburg 2008, 224 Seiten, 14,95 Euro, ISBN 978-3-451-03012-3
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