"Im Clinch mit der Gegenwart"
Zum 16. Mal wurde der Alfred-Döblin-Preis, von Günter Grass gestiftet und mit 15 000 Euro dotiert, verliehen. Im überfüllten Plenarsaal der Berliner Akademie der Künste überreichte Grass die
Auszeichnung an Michael Kumpfmüller. Eine Jury hatte sein Roman-Manuskript am Tag zuvor zum Sieger gekürt.
Am Beginn von Michael Kumpfmüllers "Angestelltenroman der Macht", so Juror Lothar Müller, stehe eine "Schrecksekunde". Der Innenminister eines nicht näher definierten westeuropäischen Landes
bekommt eine SMS seiner Tochter - aus einem Flugzeug, das gerade abstürzt. "Nachricht an alle" sei politische Gegenwartsliteratur, mit Wolfgang Koeppens "Das Treibhaus" als Vorbild, erklärte
Müller. Damit steht der Ausgezeichnete auch in der Tradition Döblins, der stets "im Clinch mit der Gegenwart" lag, betonte der Juror.
"Unruhegeist Döblin"
Klaus Staeck, der Präsident der Akademie der Künste, erinnerte bei der Eröffnung der "Döblin-Nacht" an "den kreativen Unruhegeist Döblin". Dieser zählte zu den aktivsten Mitgliedern der
Preußischen Akademie der Künste. 1933, im Zuge der Auseinandersetzung um die Gleichschaltung der Akademie, trat er aus. Im selben Jahr - auf dem Höhepunkt seines Ruhmes, vier Jahre nach der
Veröffentlichung von "Berlin Alexanderplatz" - musste der Jude Alfred Döblin vor den Nazis ins französische Exil fliehen. 1940 emigrierte er aus Frankreich in die USA.
"Ich bin ein Berliner", zitierte Alfred Döblins jüngster Sohn Stephan Kennedy - mit starkem französischen Akzent, für den er sich zuvor entschuldigt hatte "aber bei mir trifft es zu." Zur
Ehrung seines Vaters war er extra aus Frankreich angereist. Stephan Döblin war sechs Jahre alt, als die Familie Deutschland verlassen musste. Er sprach über die bitteren Jahre des Exils, davon wie
sein Vater "Ein Schriftsteller ohne Leser geworden war. Und ohne Einkunft", was Alfred Döblin zutiefst betrübte und beschämte.
"Ein Fremder im eigenen Land", so Stephan Döblin, war sein Vater geworden als er 1946 nach Deutschland zurückkehrte. Dankbar zeigte sich der 80-Jährige deshalb über die Ehrung in der Akademie
der Künste: "Un grand merci!" Alfred Döblin wäre glücklich gewesen, "so viele Menschen anzutreffen, die ihn ehren" - und soviel mehr Leser als zum Zeitpunkt seines Todes zu haben. Der Akademie
stiftete er ein Schriftstück seines Vaters aus dem Jahr 1953, der Zeit als der Schriftsteller - vereinsamt und krank - kaum fähig war den Stift zu halten. Einen passenden Ort für ein dauerhaftes
Gedenken an Alfred Döblin wüsste sein Sohn auch: den Alexanderplatz.
"Aus der Emigration nicht zurückgekehrt"
Der berührenden Eröffnung der "Döblin-Nacht" folgte ein dicht gedrängtes Programm: Lesungen, Filmvorführungen, eine kleine Vitrinen-Ausstellung, Hörspiele und Gespräche. Sie ließen Alfred
Döblin, einen der bedeutendsten Schriftsteller der deutschsprachigen Moderne, lebendig werden. Unter anderen lasen Günter Grass, Jürgen Tarrach, Uwe Timm, Katja Lange-Müller und Ingo Schulze aus
dem weitläufigen Werk des Schriftstellers, Publizisten, Satirikers und stets streitbaren Zeitgenossen.
Günter Grass, der Döblin immer als seinen Lehrer bezeichnet und sich für sein Werk eingesetzt hatte, rief dazu auf, Döblin als Meister anzuerkennen. Er sei kein Kuschelautor, sei schwer
konsumierbar, weiß Grass, aber mit ihm beginne die klassische Moderne. "Döblin ist aus der Emigration nicht zurückgekehrt. Er ist nicht angenommen worden", wurde Grass energisch, "sein Werk ist
verweigert worden."
Günter Grass und Ingo Schulze waren sich im Gespräch einig: Döblins Werk sei umfassend, reich und vielfältig, betonten sie. Deshalb, so Schulze, sei seine Leserschaft auch so uneins, es gebe
"so viele Döblins". Der hatte selbst einmal formuliert: "Ich haben einen Bahnhof in mir; von dem gehen viele Züge aus."
Die "Döblin-Nacht" reichte sicher nicht aus, um den "vielen Döblins" gerecht zu werden. Aber sie beleuchtete schlaglichtartig die vielen Facetten des Schriftstellers und würdigte sein großes
Werk.
Birgit Güll
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