Alljährlich wird am ersten Januarwochenende in der Gedenkstätte der Sozialisten in Berlin u.a. der Ermordeten des "Januaraufstands" der Spartakisten von 1919 gedacht, darunter Karl Liebknechts
und Rosa Luxemburgs. Die Demonstration trägt beider Namen. Doch in der Literatur über die Arbeiterbewegung im 20. Jh. ist bislang viel mehr über sie als über ihn zu finden. Das mag daran liegen,
dass Rosa Luxemburgs Ansichten und Handlungen in ihrer Widersprüchlichkeit mehr Diskussionsstoff bieten. Dabei war Karl Liebknecht nicht weniger Kämpfer und Querdenker.
Langer Weg zur Politik
Zur Politik kam Karl Liebknecht relativ spät. Er studierte zunächst Jura. Als er die Universität Berlin 1893 verließ, hieß es in seinem Zeugnis "Hinsichtlich seines Verhaltens auf der
hiesigen Universität ist Nachteiliges nicht zu bemerken". Und doch war es für ihn schwer, eine Referendarstelle zu bekommen. "Man verzieh ihm "bürokratischerseits nun einmal seinen Vater nicht"
bemerkte Friedrich Engels dazu. Nach Referendariaten in Arnsberg und Paderborn sowie Promotion in Würzburg eröffnete er mit seinem Bruder Theodor 1899 eine Kanzlei in Berlin. Hier erwies er sich
als glänzender Anwalt in politischen Prozessen.
Rastloser Kampf
1900 trat Karl Liebknecht in die SPD ein. Im selben Jahr heiratete er Julia Paradies, die ihm zwei Söhne und eine Tochter gebar. Ihre kurze Ehe (Julia starb 1911) war überschattet von Karls
rastlosem Engagement als Rechtsanwalt und Abgeordneter. 1901 wurde er Mitglied der Berliner Stadtverordnetenversammlung, 1908 des Preußischen Angeordnetenhauses, war von 1907 bis 1910 Präsident
der Sozialistischen Jugendinternationale. Aufgrund seiner Programmschrift "Militarismus und Antimilitarismus", verfasst für die sozialistische Jugendbewegung, wurde er 1907 wegen Hochverrats zu
eineinhalb Jahren Festungshaft verurteilt. Doch der revolutionäre Sozialist ließ sich weder jetzt noch später mit Landes- oder Hochverratsprozessen zum Schweigen bringen. "Die Bande hasst mich in
den Tod", schrieb er damals. Und heute liest sich das wie ein Omen.
Unbändige Liebe
Die Haftzeit ließ Karl Liebknecht nicht ungenutzt. "Jetzt bin ich von einer wahren Raserei erfasst: lernen, lernen lernen. Aber das ist ein Weltmeer von Wissen." Er fürchtete, sich zu
verzetteln: "Könnte ich nur arbeiten, etwas leisten. Wäre ich nicht in mir selbst zerbrochen. Du willst mich zu systematischer Arbeit bringen - wie gut und klug." "Und wie sieht es jetzt in Dir
aus? (...) Öffne mir Dein ganzes Herz, immer weit." Diese Zeilen aus der Festung Glatz waren allerdings nicht an seine Frau Julia gerichtet sondern an seine junge Geliebte Sophie Ryss.
Karl hatte die russische Kunsthistorik-Studentin 1906 kenngelernt, als er mit Interesse die revolutionäre Bewegung in Russland beobachtete und Kontakt zur SDAPR bekam. Die Liebe zu Sophie
hatte Karl in einen tiefen Zwiespalt gestürzt. Das Versteckspiel und die Notlügen blieben seiner Familie nicht verborgen. "Ich weiß, Du wirst Deiner Familie, Deinen prächtigen Kindern gegenüber
nicht ein treuloser Vater sein u. Julia auch wieder so anerkennen, wie Du sie früher anerkannt hast", bat seine Mutter ihn in einem Brief. Doch die Liebe war stärker. Sophie Ryss wurde Karls
Liebknechts engste Vertraute, wenngleich er allzeit auch zu seiner Ehefrau und seinen Kindern engsten Kontakt pflegte. Nach Julias Tod heiratete Karl Sophie.
Der Historikerin Annelies Laschitzka gelingt ein schillerndes Familienporträt, das gespickt ist mit Auszügen aus Briefen, Artikeln, Gesprächen. Es fließen die Erinnerungen von Zeitzeugen
und Wegbegleitern unterschiedlichster Couleur ein. Mitunter ist der Leser fast überfordert mit der Fülle von Namen. Doch dass im Mittelpunkt stets die Liebknechts bleiben, erleichtert das
Einordnen der Personen und Ereignisse.
Rätsel des Selbst
"Ich kenne kein Rätsel als mich selbst", hatte Karl Liebknecht bereits 1906 seiner geliebten Sophie anvertraut. Und so stehen Karls eigenen Widersprüche, seine Unrast und inneren Kämpfe im
Mittelpunkt der Biografie - aber auch die privaten und politischen Konflikte, das Zusammenleben mit Eltern, Kindern und Geschwistern, die Auseinandersetzung mit Mitstreitern und Widersachern in
Partei und Parlament. Wie es dazu kam, dass Karl Liebknecht (seit 1912 Reichtagsmitglied) als erster und einziger Abgeordneter im Dezember 1914 die Bewilligung weiterer Kriegskredite ablehnte,
nachdem er sichim August noch der Parteidisziplin unterworfen und zugestimmt hatte, wird genauso nachvollziehbar dargestellt wie sein Ausschluss aus der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion
1916 wegen seiner radikalen Kritik an der Fraktionsmehrheit.
Was trieb den Gründer die Gruppe "Internationale", des späteren "Spartakusbundes" und Mitbegründer der KPD? Welche Gedanken äußerte er in seinen Schriften, den gemeinsam mit Rosa Luxemburg
herausgegebenen "Spartakusbriefen" und der "Rote Fahne"? Wie verkrafteten er und seine Familie, seine Zeit als Armierungssoldat beim Militärdienst 1915, wie seine erneute Zuchthaustrafe wegen
Hochverrats 1917? Was bewegte ihn, als er während Novemberrevolution 1918 vom Balkon des Berliner Schlosses die "freie sozialistische Republik" ausrief? Welche Erwartungen knüpfte er an den
"Januaraufstand" 1919 in Berlin?
Tod auf dem Schlachtfeld
Ahnte er, was kommen würde, als er im am 15. Januar 1919 in der "Roten Fahne" schrieb: "Und ob wir dann noch leben werden, wenn es erreicht wird - leben wird unser Programm; es wird die
Welt der erlösten Menschheit beherrschen. Trotz alledem!" ? Am selben Tag wurden Rosa Luxemburg und er von Soldaten der Gardekavallerieschützendivision verschleppt, im Eden-Hotel verhört und
misshandelt. Anschließend wurden beide erschossen, Liebknecht hinterrücks im Tiergarten und Luxemburg im Auto - auf dem Weg ins Moabiter Gefängnis.
Die Familie habe den Lebensmittelpunkt verloren, "denn seit Jahren war mein Mann unser aller Ego" schrieb Sophie voller Trauer in einem bisher unveröffentlichten Brief an ihre Mutter in
Rostow am Don. Aber auch "sind alle gestorben - wie sie sterben wollten - sie sind gestorben für eine Sache, die ihnen heilig war - ich habe sie sagen hören, dass sie auf ihrem Schlachtfeld
sterben wollten..." Es gab 165 Tote in jenen Tagen.
Kein linker Säulenheiliger
Annelies Laschitza hat eine Reihe von unbekannten Dokumenten und persönlichen Zeugnissen ans Tageslicht geholt. Die Mischung aus Privatem, Politischem und Zeitgeschichtlichem macht die
Biographie der Familie Liebknecht so fesselnd und authentisch. Sie wollte "dass Karl Liebknecht aus dem Schatten Rosa Luxemburgs heraustritt und nicht zu einem linken Säulenheiligen versteinert,
sondern als ungestümer Kämpfer und umstrittener Querdenker, als Mann mit Charme und Charisma in Erinnerung bleibe", schreibt die Autorin im Vorwort. Dies ist ihr zweifellos gelungen.
Annelies Laschitza: Die Liebknechts. Karl und Sophie. Politik und Familie, Aufbau Verlag, Berlin 2007, 512 Seiten, ISBN 978-3-351.02652-3