Kultur

„Überflüssig sind immer die Anderen“

von Sarah Schönewolf · 10. Oktober 2013

Macht der Kapitalismus Menschen entbehrlich und wie können sich die vermeintlich „Überflüssigen“ dagegen wehren? Darüber diskutierte der Schriftsteller Ilija Trojanow mit dem SPD-Politiker Siegmund Ehrmann am Donnerstag am vorwärts-Stand auf der Frankfurter Buchmesse.

„Der Kapitalismus in seiner gegenwärtigen Form suggeriert, dass Menschen überflüssig sind“, sagt Ilija Trojanow. Eine Gesellschaft, die die Arbeit glorifiziere, benötige Menschen, die keiner Erwerbsarbeit nachgehen augenscheinlich nicht, so der Autor von „Der überflüssige Mensch“ .

Es fehle an Konzepten, was mit diesen „freigestellten Menschen“ passieren solle. Stattdessen würden die Armen aus den Städten vertrieben, um sie somit unsichtbar zu machen. „ Wir wollen die Abschaffung der Armen statt die Abschaffung der Armut“, so der Schriftsteller.

„ Ein Weckruf“ nennt Siegmund Ehrmann, kulturpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Trojanows Buch. Die aktuellen entwicklungspolitischen Konzepte liefen ins Leere. „Wir müssen uns fragen, wie wir mit den Gestrandeten umgehen?“ Etwa mit den Flüchtlingen, die über das Meer nach Lampedusa fliehen.

„Der unterlassene Mord von Lampedusa“

Das Flüchtlingsdrama von Lampedusa, bei dem am 3.Oktober mehr als 300 Menschen bei dem Versuch, von Libyen nach Europa zu fliehen vor der italienischen Künste starben, nennt Ilija Trojanow  „den unterlassenen Mord von Lampedusa“. Hier zeige sich, dass Menschenleben in den Medien mit zweierlei Maß gemessen werden würde.

Die detaillierte Berichterstattung die bei europäischen Opfern einsetze, fehle komplett - etwa Berichte über Einzelschicksale. Stattdessen blieben die Toten gesichtslos, das Unglück werde nicht vermenschlicht, Ressentiments gegen „die Anderen“ blieben bestehen. Die Politik würde diese Vorurteile zu wenig bekämpfen, kritisiert Trojanow. Bundesinnenminister Friedrichs Äußerungen zur Flüchtlingskatastrophe schüre diese Attitüde sogar noch.

SPD-Politiker Ehrmann wirbt dafür, den Vorurteile auf lokaler Ebene entgegenzusteuern. „Wir müssen anerkennen, dass Nachbarschaften auch als anstrengenden empfunden werden. Etwa in Duisburg. Hier haben die Kommunen zu wenig Geld. Die Infrastruktur muss sich ändern.“ Zudem bräuchten die vermeintlich „Überflüssigen“ eine politische Stimme, aber bei Wahlen würden sie sich häufig verweigern. Um die Stimmlosigkeit des sogenannten „Prekariats“ zu bekämpfen, sieht Ehrmann auch seinen Berufsstand in der Verantwortung: „Wir müssen wieder Brücken bauen und Vertrauen wecken.“


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Sarah Schönewolf
Sarah Schönewolf

ist Diplom-Politologin und Redakteurin des vorwärts.

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