Am 9. November 1938 brannten jüdische Geschäfte und Synagogen. Juden wurden verhaftet, misshandelt und getötet. Antisemitismus, Rassismus und Mord wurden politisch legitimiert und vom Staat unterstützt. Die Nacht vor 75 Jahren war der Anfang des industriellen Massenmordes von Millionen von Menschen.
Wie verarbeitet man die Schrecken des Holocaust und wie kann man nach den Jahren der Misshandlung und Unterdrückung weiterleben? Christa Spannbauer und Thomas Gonschior begleiteten vier Auschwitz-Überlebende zwei Jahre bei ihrer Arbeit an Kunst und Versöhnung.
Sie sind Menschen mit beeindruckendem Lebensmut, tiefer Menschlichkeit und Hoffnung. Esther Bejarano (88), Yehuda Bacon (84), Éva Pusztai-Fahidi (87) und Greta Klingsberg (84) haben Jahre ihrer Kindheit und Jugend in Konzentrationslagern verbracht und ihre Familien nie wieder gesehen. In der Dokumentation werden ihre Einzelschicksale vor Ort in Jerusalem, Budapest, Hamburg und Berlin und das Zusammentreffen in Würzburg festgehalten. „Mut zum Leben“ zeigt ihr Leben nach dem Holocaust.
Schon seit ihrer Kindheit fragten sich Christa Spannbauer und Thomas Gonschior, wie so etwas, wie der Holocaust überhaupt möglich war und wie die Betroffenen damit umgehen. „Gibt es tatsächlich etwas im Menschen, das unzerstörbar ist?“ Die Idee war geboren. Ein Perspektivwechsel zur gängigen Art der Holocaust-Dokumentationen war nötig, um ihr Projekt umzusetzen. Sie wollten keine Originalbilder, keinen Kommentatoren sprechen lassen, sondern legten ihren Fokus auf lebensbejahende, versöhnliche Stimmen. Sie wollten sich mit „Leichtigkeit“ dem Thema nähern. Diese Stimmen fanden Spannbauer und Gonschior in den vier Protagonisten, die sie bei Lesungen, Konzerten oder bei Ausstellungseröffnungen kennengelernt haben.
„Wenn ich Hitler hassen würde, hätte er gewonnen.“
Die Dokumentation will nicht anklagen oder beschuldigen, sondern zeigt Bejarano, Bacon, Pusztai-Fahidi und Klingsberg bei ihren künstlerischen und literarischen Arbeiten und lässt sie sprechen. Der Sängerin Esther Bejarano geht es um die generationenübergreifende „Heilung“ und darum, dass sich systematische Menschenvernichtung und Verachtung nie wiederholen. Sie besucht Schulen, hält Lesungen und bemüht sich um die Aufklärung der Jugendlichen. Auch der Maler Yehuda Bacon, der 1946 nach Palästina auswanderte, sucht den Kontakt und die Versöhnung mit der Vergangenheit in Deutschland. Er spendete viele seiner Werke der Kunstsammlung des Museums am Dom in Würzburg. Der Untergang des Dritten Reiches war für ihn der „Triumph der Menschlichkeit über die Unmenschlichkeit“. Jetzt gehe es um die Vergangenheits- und Zukunftsbewältigung, sagt BAcon.
„Man kann mich totschlagen, aber ich bin trotzdem ein Mensch“
Sensibel, detailreich und echt sind die Bilder, die Spannbauer und Gonschior aufzeichneten. Für die Produzenten sei der Film nicht nur ein Projekt, sondern ein „persönliches Geschenk“, sagte Spannbauer bei der Vorführung in Berlin. Auch wegen der aktuellen politischen Situation in Ungarn, dem Heimland der Autorin Éva Pusztai-Fahidi, sei die Dokumentation eine Mahnung an diejenigen, die den Holocaust verdrängen oder ihn sogar verharmlosen. Der Antisemitismus und Rassismus werde von vielen Regierungen noch nicht genug aufgearbeitet. Deutschland sei dabei ein Vorbild.
„Das aufgenommene Material hätte auch für Dokumentationen über jede dieser beeindruckenden Persönlichkeiten gereicht“, sagte Spannbauer. Auch nach den Aufnahmen stünden Macher und Protagonisten noch im engen Kontakt zueinander und seien menschlich tief miteinander verbunden. Deswegen soll im kommenden Jahr ein Buch erscheinen, das die Arbeit der Überlebenden dokumentiert und „Botschaft und Vermächtnis“ zugleich sei – ein Symbol für die unzerstörbare Würde des menschlichen Seins.