Wenn das Ködern eines Top-Managers zum Psycho-Trip wird: Ulrich Tukur brilliert in „Houston“ als Headhunter am Abgrund. Eine bestechende Studie über die Zerrissenheit eines Rädchens im System.
Clemens Trunschka (Ulrich Tukur) ist am Ende. Allenfalls würde er sich das nach einigen hochprozentigen Getränken eingestehen. Im Job gibt er Vollgas und wahrt den Schein des unerschütterlichen Machers. Als Headhunter ist er ständig auf Achse. Doch auch in seiner Freizeit ist er für seine Familie eher eine Hülle denn eine greifbare Person.
Trunschka hat zwischen sich und der Außenwelt eine Mauer gezogen. Dahinter lebt er mit seinem treuen Begleiter, dem Alkohol. Ebenso exzessiv geht er ans Werk, wenn er Top-Manager ködert. Doch ausgerechnet bei der größten Chance seit langem macht ihm die Sauferei einen Strich durch die Rechnung: Weil er morgens verschläft, ist die Zielperson, die er bei einem Kongress in Hamburg abpassen sollte, bereits abgereist. Sein Auftraggeber, ein Autokonzern, schickt ihn hinterher: in die Stadt der Energieriesen und festungsartigen Wolkenkratzer, die das System, in dem Trunschka sich bewegt, versinnbildlichen. Nach Houston. Was er nicht ahnt: Es wird eine Reise zu seinen tiefsten Ängsten und Abgründen.
Innerlich zerrissen
Mit ungewohnt präzisem und experimentellem Blick begibt sich Regisseur Bastian Günther tief ins Herz der Finsternis namens Kapitalismus. Wer will, mag diesen Film als Anklage des Headhunter-Prinzips und anderer profitgeiler Machenschaften verstehen. Der Fokus des Dramas liegt jedoch auf der inneren Zerrissenheit eines Menschen, der diese Strukturen nach außen hin trägt – oder erträgt –, obwohl er innerlich längst zu einem Getriebenen geworden ist.
Auch Trunschka weiß, dass für ihn jederzeit der Moment kommen kann, dass andere seine Schwächen erkennen und ihn fallen lassen. Umso emsiger macht er sich in der texanischen Millionenstadt ans Werk. Er bombardiert das Büro von Steve Ringer, dem begehrten Erdöl-Manager, mit Anrufen und fingiert angebliche Vorgespräche. Den Mitarbeiter eines Lieferanten von Ringers Unternehmen bequatscht er, gegen reichlich Schmiergeld eine Spionagesoftware zu installieren – und wird hinters Licht geführt. Zwischendurch berauscht er sich mit Business-Esoterik-CDs: „Das Ziel allen Lebens ist die Weiterentwicklung. Von nun an lassen Sie das Gewünschte in Ihrer Vorstellung bereits zur Realität werden“.
Rettende Erpressung
Doch der Erfolg will sich nicht einstellen. Wie ein rettender Engel erscheint Robert Wagner, eine Bekanntschaft aus der Hotelbar. Wagner führt Trunschka in Ringers Golfclub ein, doch auch dort kriegt er ihn nicht zu fassen. Schließlich steckt ihm Wagner, dass der CEO eine Geliebte hat, also erpressbar ist. In Agentenmanier heftet sich Trunschka an Ringers Fersen und bekommt ihn tatsächlich in flagranti vor die Kamera. Nachdem er die Bilder an Ringers Haustür abgeliefert hat, klingelt sein Handy. Doch seine Fehleinschätzung, nun endlich am Ziel zu sein, wird sich als fatal erweisen. Seine Unfähigkeit, die Realität jenseits seiner Wunschvorstellungen zu erkennen, erreicht an dieser Stelle einen traurigen Höhepunkt.
Dieser Wendepunkt ist zugleich eine stimmige Pointe, auf die die Handlung langsam und bedrohlich zusteuert. Manch einer dürfte sich an „No Country For Old Men“ erinnert fühlen, wenngleich Regisseur Bastian Günther körperliche Gewalt fast gänzlich ausspart und sich die Einsamkeit nicht in der Prärie, sondern zwischen Wolkenkratzern abspielt.
Letzere werden in langen Kamerafahrten und immer neuen Perspektiven gezeigt, sodass der Eindruck entsteht, sie seien die eigentlichen Akteure, während Trunschka eher Objekt als Subjekt ist. Zugleich stehen sie für jene Welt, die Trunschka verschlossen bleibt, mag er auch Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um daran etwas zu ändern. Wenn Trunschka leeren Blickes vom Hotelzimmer auf die verspiegelten Fensterfronten glotzt und die Eiswürfel im Whiskey klicken, scheint er das Kafkaeske seiner Situation zumindest zu erahnen.
Der Morgen danach
Dass diese Wanderung zwischen Suff und Business den Zuschauer von Anfang an packt, liegt vor allem an Ulrich Tukur, der die jämmerliche und die trotzige, auf den schönen Schein bedachte Seite in Trunschkas Wesen mal drastisch, mal subtil, aber stets mit berührender Präzision zum Ausdruck bringt. Bis hin zum Moment, als er besoffen in der Badewanne erwacht und an das bekannte Foto von Uwe Barschel erinnert.
Diese Wirkung kann sich aber erst vor dem Hintergrund einer ebenso präzisen Erzählweise entfalten, die sich in langen Einstellungen viel, aber niemals zu viel Zeit nimmt. Es ist gerade dieser stoische, aber punktgenaue Blick auf den Protagonisten und sein Milieu, der ein System entlarvt, ohne das Ganze mit Symbolik oder gar Agitation zu überfrachten. Jene Langsamkeit, die mitunter an vergangene Kino-Zeiten gemahnt, führt die Aussichtslosigkeit von Trunschkas Jagd, die irgendwann nur noch in seinem Kopf stattfindet, besonders deutlich vor Augen. Der dramaturgische Kniff geht voll auf: Genüsslich fährt unser Auge die Hochhäuser entlang und sieht, wie diese in sich ruhen. Mag es in Trunschka auch noch so beben: Diese Riesen kann nichts erschüttern.
Houston (Deutschland 2013), ein Film von Bastian Günther, mit Ulrich Tukur, Garret Dillahunt, Wolfram Koch, Jenny Schily u.a., 107 Minuten. Ab sofort im Kino
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