Kultur

Tschernobyl – zerstörtes Leben in einem zerstörten Land

von Werner Loewe · 27. März 2006

Nach kurzer Flugzeit blicken sie von oben in den zerstörten Reaktor. Aus dem geöffneten Seitenfenster schießt Kostin die ersten Fotos, nach gerade mal zwanzig Aufnahmen blockiert die Kamera. Auf dem gesamten Film sind fast alle Bilder vollständig schwarz, nur ein Bild ist brauchbar. Es ist das einzige existierende Foto vom Tag des Unfalls selbst. Grobkörnig durch die extrem hohe Strahlenbelastung ist es ein einzigartiges Dokument der Katastrophe.

In den folgenden Tagen, Wochen und Monaten ist Kostin immer wieder in Tschernobyl und der Region vor Ort. Er dokumentiert mit seiner Kamera den verzweifelten Kampf der "Liquidatoren", den Reaktor unter Kontrolle zu bringen, dort, wo Roboter wegen der hohen Strahlung versagen. Er fliegt mit in den Hubschraubern, die das Feuer mit dem Abwurf von Sand und Blei einzudämmen versuchen, er ist bei der Evakuierung von Pripjat dabei und beobachtet, wie die verstrahlten verlassenen Dörfer von Bulldozern zerstört und eingeebnet werden. Er dokumentiert, selbst stark verstrahlt, die ersten Krankheitsfälle, den zweiten - im Westen gar nicht mehr zur Kenntnis genommenen - Unfall in Tschernobyl 1991 und schließlich - seit zwanzig Jahren - das Leben in der "verbotenen Zone".



Der Fotograf, der die ersten Bilder der Reaktorkatastrophe schoss und ihre Folgen seitdem über Jahre dokumentiert, ist eine Legende. Seine Bilder sind berühmt, zur Zeit ist bis zum 14.05.2006 eine Auswahl von ihnen neben anderen in der Ausstellung "Tschernobyl" im Willy-Brandt-Haus in Berlin zu sehen.

In dem Buch "Tschernobyl - Nahaufnahme" erzählt Kostin zum ersten Mal die Geschichten, die hinter diesen Bildern stehen. Heute, wo in weiten Teilen von CDU, FDP und der Wirtschaft die Folgen von Tschernobyl verfälscht und verharmlost werden, wo "ideologiefrei" die Verlängerung der Laufzeiten von Kernkraftwerken und der "Ausstieg aus dem Atomausstieg" gefordert werden, ist das Buch eine eindringliche Mahnung und ein unschätzbares Dokument.

Zum Thema:

Die Austellung: "Tschernobyl

Eine Katastrophe und ihre Auswirkungen"
vom 25.03. - 14.05.2006 im Willy Brandt-Haus, Stresemannstraße 30, 10963 Berlin.

Bundesumweltminister Sigmar Gabriel: Atomkraft ist keine Zukunftstechnologie

SPD-Bundestagsfraktion: Gerold Reichenbach: Lektion aus Tschernobyl endlich lernen

Marco Bülow: Nie wieder "Tschernobyl"

EUROSOLAR-Präsident Hermann Scheer (SPD): 20 Jahre nach Tschernobyl: Erneuerbare Energien statt Atomenergie

Parlamentarische Linke der SPD: Tschernobyl strahlt als Menetekel weiter



Das Buch:

Igor Kostin: Tschernobyl. Nahaufnahme,

Kunstmann Verlag 2006,

24.90 EUR

240 Seiten Erscheinungsdatum: 03.03.2006

ISBN 3-88897-435-6

Autor*in
Werner Loewe

ist Mitarbeiter der vorwärts-Redaktion, Geschäftsführer a. D. des vorwärts-Verlags und ehemaliger Landesgeschäftsführer der SPD Hamburg.

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