„trust WHO“: So wird das Grundrecht auf Gesundheit verraten
„Es gibt ein Menschenrecht auf Gesundheit“, sagt Bundeskanzlerin Angela Merkel zu Beginn des Films. Am Ende steht die Erkenntnis, dass die WHO dieses Menschenrecht mit Füßen tritt. Was umso mehr verblüfft, wenn man sich vor Augen führt, mit welch hehrem Ziel die Institution vor 70 Jahren auf Geheiß der Vereinten Nationen ihre Arbeit aufgenommen hat: nämlich für alle Menschen die bestmögliche Gesundheitsversorgung zu gewährleisten.
Die WHO stand schon öfter im Zwielicht: Einerseits wurde ihr vorgeworfen, Probleme zu lasch angegangen sein, um weder Regierungen noch Unternehmen in die Bredouille zu bringen. So etwa im Fall des Tabakskandals Anfang der 90er-Jahre in den USA oder im Zuge der Atomkatastrophe von Fukushima. Anderseits wurde ihr auch das genaue Gegenteil vorgehalten: So hat die WHO vor neun Jahren die, wie sich später herausstellte, vergleichsweise harmlose „Schweinegrippe“ zur Pandemie erklärt. Die Pharmaindustrie freute sich darüber, dass die Regierungen fleißig bei ihr Impfstoffe einkauften.
Erdrückender Einfluss
Die deutsche Regisseurin Lilian Franck, die sich seit längerer Zeit vornehmlich mit Gesundheitsthemen befasst, ruft all das wieder in Erinnerung. Vor allem zeigt sie, wie die WHO wegen ihrer zunehmend desolaten finanziellen Ausstattung immer abhängiger von der Industrie wird. Gegenwärtig wird ihr Etat zu 70 Prozent durch Projekte abgedeckt, die sie gemeinsam mit Unternehmen, meist in Gestalt privater Forschungsinstitute, durchführt. Ein Beispiel macht den ebenso fragwürdigen wie erdrückenden Einfluss der Wirtschaft deutlich: Über seine Stiftung unterstützt Bill Gates, der zweitreichste Mann der Welt, die WHO. Die Mittel dieser Stiftung sind höher als ein komplettes Jahresbudget der WHO. Der Microsoft-Gründer hält aber auch Aktien an Pharmariesen wie Johnson & Johnson. Unabhängiges Forschen und, nun ja, Helfen erscheint so als undenkbar.
Allein derlei Zusammenhänge würden für eine schäumende Anklage genügen. „trust WHO“ ist eine sehr engagierte und intensive, aber auch unaufgeregte Dokumentation, die viel über die persönliche Haltung und den Zugang der Filmemacherin zu der Materie verrät. Vor allem aber erzählt das Ganze von Lilian Francks Beharrlichkeit. Während der mehrjährigen Recherche nimmt sie zahllose Anläufe, WHO-Verantwortliche dazu zu bewegen, vor der Kamera Stellung zu den Vorwürfen beziehen. Und zu erklären, wie die Weltgesundheitsorganisation als Spielball der Wirtschaft überhaupt noch ihrer eigentlichen Aufgabe nachkommen soll. Die Befragung des Pressesprechers gerät geradezu zum Showdown, wenngleich aufseiten der Interviewerin von ausgesprochener Sachlichkeit getragen. Sogar der früheren WHO-Generaldirektorin Margaret Chan entlockt sie schlussendlich ein vielsagendes Statement.
Ohmacht und Schande
Außerdem kommen ehemalige Mitarbeiter und Whistleblower zu Wort. Sie schildern, wie schwierig es ist, innerhalb der WHO für mehr Unabhängigkeit einzutreten. Besonders bedrückend sind die Szenen aus Fukushima. Weil die Regierung in Tokio und die WHO die Strahlenbelastung nach der Reaktorhavarie zunächst herunterspielten, wurden beispielsweise Jodtabletten viel zu spät verteilt. Die Erzählungen der Betroffenen und des damaligen japanischen Premiers formen sich zu einem bitteren Mosaik der Schande, aber auch der Ohnmacht.
Nicht nur anhand von Fukushima geht Lilian Franck auch der Frage nach, inwiefern das Dilemma der WHO die Gesundheit nachwachsender Generationen gefährdet. Es sei nochmal daran erinnert: Auch eine bessere Gesundheitsversorgung zählte einst zu den großen Fortschrittsversprechen. So gesehen stimmt „trust WHO“ alles andere als zukunftsoptimistisch. Und verstärkt zugleich die Erwartung, die Weltgesundheitsorganisation angesichts der massiven Mängel vonseiten der UN endlich besser aufzustellen und zu kontrollieren.
„trust WHO“ (Deutschland/Österreich 2017), ein Film von Lilian Franck, 85 Minuten. Ab sofort im Kino.