Kultur

Traum und Abstellgleis

von ohne Autor · 21. September 2014

Immer mehr junge Spanier suchen das Weite. Verheerende Jobaussichten zwingen auch Carlos zum Neuanfang. Und zwar in den unendlichen Weiten der Gegend, wo er groß geworden ist. Dort stellt er fest, dass dort, wo Weite herrscht, meist auch Enge zuhause ist. Rettung verspricht eine unverhoffte Affäre mit der Staatsmacht.

Kann man vor der Krise weglaufen? Ist es nicht unmöglich, weil man damit auch versuchen würde, vor sich selbst die Flucht zu ergreifen? Wie auch immer: Wenn es in Spanien eine Gegend gibt, wo all das Unerfreuliche, was tagaus tagein über den Fernseher das Wohnzimmer erreicht, in der Regel ganz weit weg ist, dann ist es die Extremadura: jene karge Gegend im Südwesten mit ziemlich viel Platz für sehr wenig Menschen. Eine Landschaft von ausgedehnten Hügeln, wo sich der Blick in fast unwirklichem Maße weitet und alles andere hurzelig erscheinen lässt. Nicht zuletzt den Menschen: Ihn wirft die Natur unbarmherzig auf sich selbst zurück. Und doch stechen starke Kontraste ins Auge: Das Gelb des Bodens bricht sich im tiefen Blau der Seen und Flüsse. Der ausgelutschte Begriff der rauen Schönheit bringt das Flair auf den Punkt.

Die Filmemacher Stefan Butzmühlen und Christina Diz ließen sich von diesem Landstrich zu den Dreharbeiten für „Sleepless Knights“ hinreißen. Einen Sommer lang quartierten sie sich im Dorf der Großmutter ein und entwarfen 30 Filmszenen, die das Leben vor ihrer Haustür festhalten sollten. Nach und nach trudelte das Team ein, wurden Laiendarsteller vor Ort und in Madrid gefunden. Die spielen zwar weitgehend sich selbst, sind aber Teil einer erdachten Handlung. Das Ergebnis hat indes mehr mit einer halbdokumentarischen Collage als mit einer geschlossenen Handlung zu tun. Doch das tut der Wirkung der teils überlangen Einstellungen, die den Menschen als Teil seiner Umgebung zeigen, keinen Abbruch.

Heimkehr als Fremder

Als Zugang für ihr Porträt eines Natur- und Kulturraums wählten die Autoren eine fiktive Geschichte, die typischer kaum sein könnte und dennoch geschickt mit dem Gegensatz zwischen dem Fremden und Vertrauten jongliert. Und auch mit der Fremdheit gegenüber sich selbst. Carlos ist zu seinen Eltern in die Extremadura zurückgekehrt. Wie in jedem Sommer. Doch diesmal gibt es noch einen anderen Grund: Jobs sind im fernen Madrid kaum noch zu finden. Außerdem braucht sein gebrechlicher Vater Hilfe bei den Schafen. Doch die Heimkehr birgt reichlich Frustration: Die Mutter behandelt ihn wie einen kleinen Jungen und die Schwester kann es kaum erwarten, dass Carlos wieder in die Großstadt entschwindet: Er ist ein Fremder in seiner eigenen Familie. 

Es sind dies akonisch inszenierte, aber auch deprimierende Momente. Sie entsprechen dem Kopfkino, das in Gang gesetzt wird, wenn man von der grassierenden Jugendarbeitslosigkeit in Spanien und anderen südeuropäischen Ländern hört. Viele von ihnen spült die Krise notgedrungen wieder unter Mamas Rockzipfel. Andere treiben die Wut über verwehrte Lebenschancen auf die Straße.

Die Bilder jener Demos laufen auch in der Glotze eines Polizeireviers in Carlos' Nachbarschaft. Der junge Polizist Juan verfolgt die Berichte ebenso teilnahmslos wie das zotige Gerede seiner Kollegen. Eines Abends lernt er Carlos in einer Bar kennen. Auch er behandelt den Heimgekehrten zunächst wie einen Fremdkörper. Doch dann lösen sich die Berührungsängste in Leidenschaft auf. Hat ihre Beziehung in dieser tiefen Provinz, wo die Massen auf die Straßen strömen, um der Vertreibung der maurischen Eindringlinge im Mittelalter zu gedenken, eine Chance?

Spröder Charme

Leider verliert sich die Geschichte von Carlos und Juan irgendwann zwischen Ausschnitten aus Prozessionen, Höhlenwanderungen und trägem Tanzvergnügen, das erst recht den etwas anderen Rhythmus des Landlebens versinnbildlicht. Dabei hätte das Aufeinanderprallen von Metropole und Einöde gerade unter diesen Bedingungen dramaturgisches Potenzial geboten. So sympathisch all die spröden Momentaufnahmen aus dem Alltag in der Extremadura auch sind: Es erschließt sich kein Erzählfaden, der diesen Film tragen könnte.

Möglicherweise hatten Butzmühlen und Diz genau das im Sinn, als sie in der Sonne dösten und am Drehbuch schrieben. Dennoch wäre es zu wünschen gewesen, sie hätten sich in Sachen Bildsprache und Montage klarer zwischen einem quasi-dokumentarischem Anspruch und den experimentellen Freiheiten des Arthouse-Stils entschieden. Nicht, dass sich diese ästhetischen Grundmuster nicht miteinander verbinden ließen. Doch hier pendelt zu viel von einer Richtung in die andere, sodass der Zuschauer irgendwann den Überblick und mitunter auch die Konzentration verliert. Aber dieses Risiko muss man wohl eingehen, wenn die Landschaft die Hauptrolle übernimmt. Wenn nicht gar die Regie.

 

INFO: Sleepless Knights (Cabelleros Insomnes, D 2012), ein Film von Stefan Butzmühlen und Christina Diz, mit Raul Godoy, Jaime Pedruelo u.a., 85 Minuten, Omu. Ab sofort im Kino

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