Fast jede Minute wird in Deutschland eine Krebsdiagnose gestellt. Das besagen Zahlen des Robert-Koch-Instituts. Gegenüber 1990 stieg die Zahl der Neuerkrankungen um 30 Prozent. Bis zum Jahr 2030 soll die Rate um weitere 50 Prozent klettern, so Experten. Neben Übergewicht, Rauchen und Alkohol gilt falsche Ernährung als Hauptursache für Karzinome. Doch was ist unter falscher Ernährung zu verstehen?
Für die Journalistin Robin steckt mehr dahinter als zu viel Fett oder zu wenig Vitamine. Sie macht einen Cocktail aus Pflanzenschutzmitteln, Zusatz- und Kunststoffen für die Zunahme psychischer und physischer Leiden verantwortlich. Die Wechselwirkung dieser Stoffe gilt als unerforscht. Der Grund für die globale Verbreitung dieses Cocktails liegt für die Französin auf der Hand: Es ist das rücksichtslose Gewinnstreben der Lebensmittel- und Chemiekonzerne.
Eine Recherche, die für Aufmerksamkeit sorgen wird
Zwei Jahre lang hat die preisgekrönte Autorin, die 2008 mit einem Dokumentarfilm über die Skandale des Gentechnik-Unternehmens Monsanto auf sich aufmerksam machte, für "Unser täglich Gift" recherchiert. Das Ergebnis dürfte erneut für Aufsehen sorgen. Es zeigt, dass seit dem Beginn der "grünen Revolution" zahllose Pestizide Gemüse und Obst belasten, ohne dass die Festlegung der erlaubten Mengen belastbaren Kriterien folgt.
Dass der Süßstoff Aspartam nicht vom Markt verschwindet, obwohl unabhängige Wissenschaftler vor Nebenwirkungen wie Gehirntumore und Depressionen warnen. Dass Studien belegen, warum Weichmacher wie das in vielen Plastikflaschen enthaltene Hormon Bisphenol A (BPA) Unfruchtbarkeit und Veränderungen der Fortpflanzungsorgane nach sich ziehen können, diese aber weiterhin verarbeitet werden.
Ein Komplott zwischen Wirtschaft und Politik?
Wie ist das alles möglich? Weshalb dringen staatliche Stellen nicht auf strengere Kontrollen? Am Beispiel der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) und deren US-Pendant FDA, macht Robin deutlich, dass jene Instanzen, die die Verbraucher schützen sollen, ihrer Rolle oft nicht gerecht werden. Zum einen wegen personeller Verflechtungen mit den betroffenen Unternehmen. Zum anderen, weil kritische Wissenschaftler von Konzernen eingeschüchtert werden oder ihre Arbeitgeber sie kaltstellen.
In vielen Fällen vermutet die Autorin einen Komplott zwischen Wirtschaft und Politik. Sie suggeriert, ein gewisser Donald Rumsfeld habe Anfang der 80er-Jahre als Vorstandschef von G.D. Searle & Company seine Kontakte zur Reagan-Administration genutzt, um die Zulassung von Aspartam durchzudrücken. Unter dem Namen Nutrasweet wanderte der Stoff auch in Deutschland in Kaugummis und Softdrinks. Beweise für die Einflussnahme aus dem Weißen Haus liefert der Film nicht. Fakt ist jedoch, dass die FDA ihr Placet vor Reagans Amtsantritt verweigert hatte.
Eine andere Ernährungsweise ist möglich
Robin malt das düstere Bild einer krakenhaften Nahrungsmittelindustrie. Es fällt schwer, sich der eindringlichen Wirkung zu entziehen, die die Interviews mit Medizinern und Behördernvertretern ergeben. Die naturwissenschaftlichen Details türmen sich während der knapp zweistündigen Reise durch die Konsumwelt zu einem schwer überschaubaren Berg und verlangen dem Publikum viel Konzentration ab. Doch gerade die Präzision und die Beharrlichkeit seiner Argumentation machen diesen Film so überzeugend.
Freilich gilt vielen Forschern auch die höhere Lebenserwartung als ein Grund dafür, dass heute mehr Menschen als je zuvor an Krebs erkranken. Schließlich hat es wegen der vielen Kriegstoten während der vergangenen Jahrzehnte weniger alte Männer gegeben. Die Nachgeborenen wiederum erreichen nun das Krebs-Risikoalter ab etwa 60 Jahren. Nichtsdestotrotz erscheint ein erhöhtes Krebsrisiko durch gefährliche Nahrung, nachdem man "Unser täglich Gift" gesehen hat, zumindest als nachvollziehbar.
Umso mehr spricht für diesen Film, dass er auch Mut macht. Indem er zeigt, wie Aufklärung und entschlossene Politiker Änderungen auf dem Lebensmittelmarkt erzwingen: Seit dem vergangenen Jahr ist beispielsweise BPA in kanadischen Babyflaschen verboten. Und indem er daran appelliert, dass eine andere Ernährungsweise möglich ist. Sie muss nur (wieder)entdeckt werden.
"Unser täglich Gift" (Frankreich 2010), Regie: Marie-Monique Robin Der Film läuft am Dienstag, dem 15. März, um 20.15 Uhr auf ARTE Er wird im Rahmen des Themenabends "Wenn Essen krank macht" gezeigt. Die DVD erscheint am 11. März bei ARTE Editions Weitere Infos