Seit Woody Allen ist die Frage zum Klischee geworden: Wie viel Selbsttherapie steckt hinter einem Film? Bei Kim Kiduks experimentellem Selbstporträt „Arirang“ fragt man sich hingegen: War der Versuch wenigstens erfolgreich?
Wie kein anderer steht Kim für das Kino Südkoreas. Andererseits polarisiert sein Schaffen dermaßen, dass es vor allem Arthouse-Freunden goutieren. Immer wieder verarbeitet der Regisseur die Verwundungen und Verwüstungen der südkoreanischen Gesellschaft, ebenso seine Unfähigkeit, mit ihr in einen, nun ja, unvoreingenommenen Dialog zu treten. Dabei kommen Geschichten von Einzelgängern heraus, die – oftmals getrieben von traumatischen Erfahrungen – eine gleichsam groteske und radikale Interaktion mit ihrer Umwelt pflegen.
Diese Kunst, Grundsätzliches unter extremen Bedingungen zu verhandeln, hat Kim zahlreiche internationale Preise eingebracht. Für „Samaria“ erntete er vor acht Jahren einen Silbernen Bären bei der Berlinale – es ist die Geschichte einer jungen Frau, die, um den Tod ihrer Freundin, einer Prostituierten, zu sühnen, mit deren Freiern ins Bett geht und ihnen danach ihr Geld zurückgibt. Auch sein jüngstes Werk „Arirang“ erntete bereits internationale Lorbeeren, etwa den „Prix Un certain regard“ bei den Filmfestspielen von Cannes im vergangenen Jahr. Wieder einmal geht es um Isolation, Hoffnungslosigkeit, Frustration und Erlösungssehnsüchte. Doch diesmal ist Kim die Hauptfigur.
Allein im Schnee
Dafür folgen wir ihm in ein verschneites Dorf in der bergigen Einöde Südkoreas. Dort haust Kim drei Jahre lang in einer zugigen Hütte, trotzt der Kälte in seinem Zelt unterm Holzdach. Allein mit sich, seinen Filmen und einer Katze doziert, schimpft und weint er vor sich hin. Die Szenerie erinnert an einen völlig aus dem Ruder gelaufenen Eremiten-Trip. Was ist passiert?
„Ich kann gerade keine Filme machen – also filme ich mich selbst“, spricht Kim nach zehn schweigsamen Minuten in die Kamera. Es ist mehr als nur ein filmisches Experiment, es ist seine Therapie: Seit seinem Regiedebüt im Jahre 1996 drehte er, nahezu manisch, Jahr für Jahr einen Film. Im Jahr 2008 wird alles anders: Bei einem Unfall am Set kommt eine Darstellerin fast zu Tode. Für Kim ist es erst einmal aus mit der Kunst, er fällt in eine tiefe Depression – und zieht sich von allem und jedem zurück.
Kleidete er seine Selbstbefragung bislang in Handlungen und Figuren, ist der Dialog mit sich selbst nun das Thema an sich. In quälend langen Halbtotalen blickt uns Kim ins Gesicht. Die Kamera wandert zu den wenigen vertrauten Gegenständen, die ihn umgeben: seine Kaffeemaschine und verknitterte Kinoplakate. Letztere sind das Medium seiner Erinnerung. Wird er jemals wieder einen Film drehen? Hat er den Menschen, mit denen er arbeitete, zu viel abverlangt? Oder waren doch jene an alldem schuld, die die Arbeitsbedingungen auch ihm diktieren? War es ein Fehler, einzig für den Film zu leben?
Selbstgespräche eines Trinkers
Ab und wann kommt Bewegung in die klaustrophobische Monotonie. Zum Beispiel, wenn Kim in die Rolle seines Schattens schlüpft, den Dialog mit sich selbst delegierend und auf die Spitze treibend, seinen beginnenden Niedergang als vereinsamter Trinker beklagend. Oder wenn er zaghafte Ausflüge in die verschneite, menschenleere Pampa um ihn herum unternimmt, aus der nichts als Gleichgültigkeit atmet.
Werden die Schatten länger, verfällt er in einen klagend-beschwörenden Gesang aus dem Off: „Arirang“, das bekannteste Volkslied beider Koreas, trägt ihn zu höheren Bewusstseinssphären. Kims Stimme schwingt sich zu wehklagenden Höhen hinauf, nun macht sich die Hoffnung Luft, sein seelisches Elend zu überwinden: „A“ bedeutet „selbst“, „Ri“ steht für Verstand, das ergibt „sich selbst erkennen“: „Über den Arirang-Pass mögest du mich schicken...“
Und siehe da: Eines Tages kehren die Lebensgeister zurück. Kim verlässt die Berge, um Rache zu nehmen. Nicht zuletzt diese Schlusspassage, in der sich die Realität des Films von der objektiven Realität zu entfernen scheint, unterstreicht das Experimentelle dieses im konstruktiven Sinne anstrengenden Selbstporträts, das auch Arbeiten an sich selbst bedeutet.
Alles überstanden?
„Ich sehe etwas, das ich nicht verstehe, und mache einen Film darüber, um es zu begreifen“, hat der 51-Jährige einmal gegenüber Journalisten bekannt. Man fragt sich, was „Arirang“ zu diesem ganz speziellen Erkenntnisprozess beigetragen hat. Das Werk an sich kann diese Frage allenfalls verschlüsselt beantworten. Fakt ist jedenfalls, dass sich Kim mittlerweile wieder ans Set wagt. Im vergangenen September feierte sein Spielfilm „Amen“ seine Premiere auf dem Festival von San Sebastian. Kein Zweifel: „Arirang“, diese schonungslose Selbstbefragung, wird uns lange in Erinnerung bleiben.
Info: Arirang - Bekenntnisse eines Filmemachers (Südkorea 2011), von und mit Kim Ki-duk, OmU, 100 Minuten. www.rapideyemovies.de
Kinostart: 26. Januar