Kultur

Täterjagd im revolutionären München

von André Weikard · 25. Mai 2011
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Der spitzbärtige Kommissar ermittelt im Winter 1918/ 1919. Und seine Untersuchungen führen ihn auf die Spur der Hintermänner des Attentat auf Kurt Eisner, den Vater der Münchner Räterepublik (und vorwärts-Redakteur). Beiläufig ergeben sich aus der Erzählung die politischen Zusammenhänge der Zeit, das Milieu. Genau hier setzt 2011 eine Neuauflage des Romans an. Aus dem Krimi wird eine Graphic Novel. Zeichner Bernd Wiedemann bringt die Bilder, die Hültner im Kopf entstehen ließ, zu Papier.

Da sind sie, die wuchtigen, kräftigen Arbeiter mit ihren Mützen, wie sie sich auf der Theresienwiese versammeln, um die Republik einzuforden oder wie sie in den Kneipen mit den Maßkrügen anstoßen, um die Flucht des Königs zu feiern. Da sind aber auch die dickbäuchigen Monokelträger mit ihren Zigarren, die Kriegsgewinnler mit ihren Champagnergläsern, denen die behandschuhten Frauen unter das Jackets fassen, vielleicht um es aufzuknöpfen, vielleicht, um nach der Brieftasche zu tasten.

Das Papier, auf das die schwarz-weiß-Zeichnungen gedruckt sind, ist fest und rauh. Und manches mal erwischt man sich beim Durchblättern dabei, wie man auf die eigenen Fingerkuppen schaut, ob sie nicht schmutzig geworden sind, von den abgebildeten Kohlezeichnungen. Die sind ganz unterschiedlich ausgearbeitet, mal kaum mehr als hingeworfene Skizzen, verwischte Szenen aus dem Revolutionsgetümmel, mal sind sie ganz detailverliebt. Dann vor allem, wenn es um die Mimik der Protagonisten geht, wenn es darauf ankommt, jedes Stirnrunzeln im Gesicht des hageren Inspektors abzubilden, seine zusammengekniffenen wachen Augen oder sein Entsetzen.

Kajetan gelingt im Krimi, was in Wahrheit nie recht bewiesen werden konnte, nämlich, der Nachweis, dass der Eisner-Attentäter Graf Arco-Valley enge Verbindungen zur völkischen Thule-Gesellschaft hatte, einem rechten Geheimbund mit Anhängern unter den höchsten Militärs. Für die Graphic Novel bedeuted das eine große Erklärlast. Nicht nur die Krimihandlung, auch die Hintergründe müssen verständlich gemacht werden, die historische Situation - und all das auf so wenig Platz.

Da wird vieles oberflächlich, einiges ist ohne Vorkenntnisse schlicht unverständlich. Der Text drückt sich verschämt in die Ecken, schwarz-auf-weiß oder weiß-auf-schwarz, nie in Sprechblasen. Dass das nicht zum Problem wird, ist allein den Zeichnungen von Bernd Wiedemann zu verdanken. Sie fangen mit ihrer düster-atmosphärischen Dichte auf, was textlich nicht zu leisten ist.

Mehr noch: sie vermitteln ein Gespür für eine Epoche, das mit Worten nicht wiederzugeben wäre. Ob dazu reallistische Nachahmungen von Fotografien aus der Zeit nötig sind oder zeichnerische Zuspitzungen, die manchmal beinahe zu Karikaturen werden - Wiedemann zieht alle Register, um zu beleben, was seit fast einhundert Jahren vergangen ist. Wer spannende Unterhaltung sucht, der möge sich lieber Hültners Krimi kaufen. Wer das schon getan hat oder sich optisch einstimmen lassen will, auf das München in der kurzen Zeit, als Bayern Freistaat und Republik war, der macht mit dem Kauf der schön aufbereiteten Graphic Novel alles richtig.

Robert Hültner, Bernd Wiedemann: "Inspektor Kajetan und die Sache Koslowski", Deutscher Verlags Anstalt, München 2011, 112 Seiten, 24,99 Euro, ISBN 978-3-421-04421-1

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