„Suburra“: Rom als Symphonie des Verbrechens
Eine Mafia-Bar direkt gegenüber vom Amtssitz des italienischen Ministerpräsidenten? Vor bald sechs Jahren machten Berichte über die Ausbreitung der ehrenwerten Clans in Rom die Runde. Wieder mal zeigte sich, wie sie Wirtschaft und Politik infiltrieren, und zwar nicht nur Süden des Landes. Wieder war der Aufschrei in den Medien groß, wenngleich die meisten Italiener den wachsenden Einfluss des organisierten Verbrechens und dessen Kumpanei mit Volksvertretern längst mit bitterer Lakonie hinnehmen.
Mafiöse Strukturen an Cäsars Geburtsort
All das bietet den Hintergrund für den Mafia-Thriller „Suburra“. Der Titel verweist auf die einstige antike Vorstadt Roms. Dort soll ein gewisser Julius Caesar das Licht der Welt erblickt haben. Heute wie damals prägen die Halbwelt und ihre Verbindungen zur politische Elite das Quartier. Und damit auch die Allmachtsfantasien von kleinen Schutzgelderpressern und ihren Bossen, die das Gesetz der Straße bestimmen. Es ist die Welt, in der Figuren wie in diesem düsteren Epos gedeihen.
Zumal diese Kategorie nur bedingt greift. In diesem Flechtwerk aus Politikern und Gangstern, die sich in Sachen Rücksichtslosigkeit nichts nehmen, gibt es keine Helden. Im Verlauf der äußerst kurzweiligen zwei Stunden macht sich jede tragende Figur schuldig. Am Ende verlieren alle. Zumal der Film, der auf dem gleichnamigen Roman von Carlo Bonini und Giancarlo De Cataldo basiert, die Perspektive von Polizei und Justiz gänzlich ausspart. Gleichwohl wird ein breites Panorama aus Akteuren beleuchtet, deren Verbindungen untereinander erst nach und nach ans Licht kommen.
Krieg der Clans in der Ewigen Stadt
Mit dem Tod einer minderjährigen Prostituierten nimmt das Verhängnis seinen Lauf. Gerade ist der Parlamentsabgeordnete Filippo Malgradi dabei, mit dem wichtigen Mafiaboss Samurai ein Bauprojekt auf die Beine zu stellen. Das Ziel dahinter: Die Clans dahinter wollen ihre Macht in der Hauptstadt zementieren. Und Malgradi und seine Parteifreunde wollen kräftig mitverdienen. Außerdem hängen ominöse Neofaschisten und Vertreter des Vatikans mit drin. Plötzlich hat er ganz andere Sorgen: Nach einer exzessiven Hotelnacht muss er seine mausetote Gespielin heimlich beseitigen.
Noch genießt der Politiker Immunität, doch bei einer Neuwahl könnte er seinen Mandat verlieren. Dazu könnte es angesichts der Regierungskrise bald kommen. Prompt wird Malgradi von einem Helfershelfer erpresst. Schließlich muss er auch ihn loswerden. Und entfacht damit einen Krieg zwischen zwei wichtigen Mafiaclans. Einer der Chefs fordert, nun ebenfalls an dem Baudeal beteiligt zu werden. Verrat und Gewalt greifen immer mehr um sich und drohen auch Malgradi und dessen Familie ins Verderben zu reißen.
Ein Thriller in der Tradition des Film Noir
Nicht nur, weil die Handlung unaufhaltsam auf die Katastrophe – beziehungsweise auf die Apokalypse, die einen Neuanfang ermöglicht – zusteuert, sieht sich Sollimas Regiearbeit in der Tradition des Film Noir. Dazu passt auch die allgegenwärtige moralische Verkommenheit. Manche scheinen sie in ihrer DNA zu haben. Zumindest erweckt Sollima diesen Eindruck, wenn er einen Mafiaboss vorführt, wie er in all seiner dekadenten Pracht schwelgt und andere Menschen nur als Material betrachtet, um sein cäsarenhaftes Dasein zu erhalten. Andere wiederum sehen sich zum Verrat gezwungen, um ihr Leben zu retten.
Um Rom als Szenario des Untergangs zu zeigen, trägt Sollima, der auch für die Mafia-Serie „Gomorrha“ verantwortlich zeichnete, mitunter dick auf und setzt bei Bild und Ton ganz klar auf Überwältigung. Entsprechend einer totalen Verfinsterung wurden die Szenen in der Stadt fast ausschließlich nachts gedreht. Als wäre das nicht genug an Symbolik, plagt ein prasselnder Dauerregen die Bewohner und wächst sich gegen Ende zur – reinigenden? – Flut aus. Hinzu kommt ein wuchtiger bis sphärischer Elektro-Soundtrack.
Dominanz der Emotion
Keine Frage: Sollima greift in seinem Thriller eines der klassischen Sujets nicht nur des italienischen Kinos auf. Die labyrinthartige Erzählstruktur steuert das Geschehen mal mehr, mal weniger subtil in Richtung Abgrund. Seinem Anspruch, Gesellschaftskritik zu üben, wird der Film allerdings nur bedingt gerecht. Dafür werden gerade die politischen Akteure und Hintergründe zu oberflächlich betrachtet. Emotion und Effekt dominieren gegenüber der Analyse. Ein ästhetisch stimmiger und bis zum Schluss spannender Thriller ist „Suburra“ aber allemal.
„Suburra“ (Italien/Frankreich 2015), Regie: Stefano Sollima, nach dem Roman von Carlo Bonini und Giancarlo De Cataldo mit Pierfranceso Favini, Elio Germano, Claudio Amendola, Greta Scarano u.a., 135 Minuten